piwik no script img

Autoren-Grafiker

Aufmerksamkeit – und wie sie zu kriegen ist in der Bildkonkurrenz des urbanen Raums: Die Ausstellung „engagement & grafik“

von BRIGITTE WERNEBURG

Die aktuelle Ausstellung der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst eröffnete gewissermaßen vorzeitig; mit Plakaten, auf denen nun überall in der Stadt Provokantes zu lesen steht wie „Endlich wird die Arbeit knapp“, „Mehr Freizeit durch Teilzeit“ oder „Es gibt zu viel Arbeit“.

Natürlich sind diese Poster wie andere Veranstaltungsplakate Wegweiser und wollen zu einem Besuch der Ausstellung einladen. Gleichzeitig sind sie aber auch schon ein Teil der Exponate, denn in den Räumen der NGBK ist nichts anderes zu sehen als eben – weitere Plakate, Handzettel, Sticker und Buttons: „politisches/soziales engagement und grafik/design“ heißt die am Freitag eröffnete Schau.

Neben den sieben Plakatmotiven der deutschen Grafiker und Grafikergemeinschaften Manfred Butzmann, Martin Kindtworth, Klaus Staeck, Linke Hände, Umbruch Bildarchiv und Marilyn Stroux & Peter Bisping stammt der größere Teil der gezeigten Arbeiten aus Frankreich. Sie dokumentieren eine ganz eigene Entwicklung des Grafikdesigns, die hier nicht bekannt ist.

Denn im Gefolge des Mai 68 entstanden in Frankreich Grafikateliers, die sich ausschließlich im sozial- und kulturpolitischen Bereich betätigten und deren Kunden nicht die Wirtschaft und ihre Verbände waren, sondern Aktionsbündnisse, Parteien, Splittergruppen und später, mit der ersten linken Regierung in den 80er-Jahren, auch die öffentliche Hand. In einem Interview sieht der Grafiker und Hochschullehrer Malte Martin die historischen Gründe, die diese Bewegung einer „Grafik gegen die Werbegrafik“ in Frankreich in Gang brachten und den „Grafiste“, den Autoren-Grafiker im Gegensatz zum „Art Directeur“, an ein linkes Projekt koppelte, vor allem darin liegen, dass es in Frankreich zunächst nicht den engen Entstehungszusammenhang von Grafikdesign und industrieller Revolution gab.

Statt Designschulen wie Bauhaus in Deutschland, De-Stijl in Holland oder der Schweizer Schule, die sozialreformerisches Engagement in Zusammenarbeit mit der Industrie verwirklichen wollten, waren es in Frankreich Künstler im ganz traditionellen Sinne, die Grafikdesigner wurden.

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg schloss Frankreich an die Entwicklung der anderen Länder an, die 1968 allerdings hart mit dem Bild von der Revolution gegengeschnitten wurde, wobei die Szene mit dem altlinken Reformismus unter den Tisch fiel.

Als einzig verbliebene Kritik der globalisierten ökonomischen Vernunft ist der Reformismus mit Kampagnentätigkeit, Aktionsbündnissen und bürgernaher Kultur- und Sozialarbeit aber inzwischen wieder en vogue – mehr, als es dem einen oder anderen aus der Projektgruppe der NGBK offenbar lieb ist, die die Ausstellung ins Werk gesetzt hat.

Das zeigen jedenfalls die Interviews mit den Grafikern und Ateliergemeinschaften, die im Katalogbuch zur Ausstellung oder auf den losen Blätter in der Ausstellung nachzulesen sind. Man hätte es, so der Eindruck, doch gerne größer, radikaler und die Frontstellungen zu den Designern in der Produktwerbung eindeutiger.

Doch gute Arbeit wird eben öfter in durchaus bescheidenem Rahmen geleistet. Die „fabrication maison“ ist etwa ein Zusammenschluss von Künstlern, die Workshops in Schulen organisieren. So altbacken und bürokratisch der Titel der ausgestellten Arbeit „Grafik und Staats/Bürgersein“ auch klingen mag, die die Gruppe mit den Schülern der Leonardo-da-Vinci- und der Martin-Schongauer-Grundschule in Straßburg erstellte, in den Postern und Postkarten der Kinder zeigt sich gleiche begeisterte Hingabe, die Bertrand Taverniers in seinem letztem Film „Ça commence aujourd'hui“ als die Kraft auch sozial benachteiligter Kinder feierte, Zukunft und eine Idee von Selbstbewusstsein und Selbstbestimmtheit zu haben.

Bei Tavernier trugen Lothringer Vorschulkinder mit bunt gefärbtem Wasser gefüllte PET-Flaschen zu einer hinreißenden Bodeninstallation zusammen, bei „fabrication maison“ begrüßen Elsässer Schulkinder auf Fotos und Zeichnungen ihren copain. Sollte die Netzwerk-Idee, die „fabrication maison“ vertritt, so erfolgreich sein, den Mainstream erreicht haben, an den das Kino andocken kann?

In den Fragen, wie der Mainstream zu erreichen ist und ob er erreicht werden soll, unterscheiden sich die Gruppen. „Nous Travaillons Ensemble“ zum Beispiel, die sich 1989 in Montreuil zusammenfanden, um nach dem Ende des legendären Ateliers Grapus, der Mutter aller Autoren-Grafiker, dessen Tradition weiterzuführen, erklären dezidiert: „Wir arbeiten nicht für die Gegenöffentlichkeit, sondern an der Gesellschaft.“ Und das heißt im urbanen Raum arbeiten, in dem die visuelle Konkurrenz hart ist; in dem die Adressaten der Arbeiten, die auch als Mitarbeiter gewonnen werden sollen, oft Kids sind, metropolitan und äußerst imagebewusst.

Mit reiner Gesinnung ist da nichts zu holen. Da muss man sich schon was einfallen lassen. Und was den Grafikern eingefallen ist, lohnt den Besuch von „engagement & grafik“.

Bis 4. 6., NGBK, Oranienstr. 25, tägl. 12–18.30 Uhr; Katalog 22 Mark; heute stellen GrafikerInnen und Gruppen ihre Arbeiten vor: „Augenwischerei II“,16 Uhr, Info (0 30) 6 15 30 31

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen