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standbildAutokoprophagie

„2000! Menschen,

Bilder, Emotionen“

So, 20.15 Uhr, RTL

Sein Kandidat brütete gerade über der 250.000-Mark-Frage, da sank Günther Jauch ganz tief in seinen Sitz, Schweiß glänzte auf der Stirn, und stockend presste er hervor: „Ich muss mich jetzt sofort umziehen. Warum, das verrate ich Ihnen nach der Werbepause.“ Nach der Werbepause erschein er in bordeauxrotem Hemd zu grauem Anzug: Er müsse im benachbarten Studio gleich noch den großen RTL-Jahresrückblick moderieren – ein Moderator im Stress. Viereinhalb Stunden Jauch total, von 19.15 bis 23.45 Uhr. Und eine ideale Gelegenheit, dem Mann bei der Arbeit zuzuschauen.

Ermüdung und Abschlaffung ereigneten sich zunächst vor dem Fernseher. Wie am Fließband ließ RTL bekannte Nasen und Namen des Jahres an Jauch vorbeidefilieren: Nicht nur Zlatko ’n’ Jürgen, sondern auch Fußvolk aus der Armee aufständischer Anständiger, allesamt rekrutiert aus den Schlagzeilen des Boulevard. Menschen, die beherzt einen rechtsradikalen Überfall vereitelt hatten, referierten über die beherzte Vereitelung rechtsradikaler Übergriffe. Und die Dame, die einen Kampfhund erwürgte, durfte ihren bewährten Killergriff noch einmal demonstrieren – an einem ausgestopften Pitbull.

Die Wallerts ließen sich vernünftigerweise nicht blicken. Dafür grüßte ein aufgekratzter Christoph Daum per Videoübertragung, ebenso ein sedierter Michael Schumacher vor flackerndem Kamin – Jauch selbst bewahrte stets Überblick, Contenance und Esprit.

Nur später, als er selbst ein bisschen rammdösig wurde, unterliefen ihm Flüchtigkeitsfehler: Beharrlich stellte Jauch geschlossene Fragen, die seine verschlosseneren Gäste mit Ja oder Nein beantworten konnten – was die Gespräche zunehmend einsilbig verlaufen ließ: „Würden Sie wieder eingreifen?“ – „Ja.“ „Haben Sie eine Erklärung dafür, warum alle weggeschaut haben?“ – „Nö.“

Ansonsten aber wurden vergangene Medienereignisse souverän ihrer Zweit- und Drittverwertung zugeführt, von Jenny Elvers bis zum ersten Gewinner von Jauchs Quizshow „Wer wird Millionär?“. So nährt sich das Medium von seiner eigenen Scheiße. Dafür gibt’s sogar ein handliches Fremdwort: Autokoprophagie. Auch eine schöne Millionenfrage. ARNO FRANK

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