■ Mit Vollgas in die 60er: Autobahnwahn
Es war lustig und auch nur ein Versprecher, als gestern ein Mitarbeiter der Verkehrsverwaltung bei der Vorstellung des neuen Autobahnstadtrings A100 das Jahrzehnt verwechselte und in den Achtzigern landete. „Also, wir sind in den neunziger Jahren“, verbesserte ihn der Verkehrssenator und entschuldigte seinen Mitarbeiter, weil tatsächlich viele Berliner Autobahnvorhaben aus vergangenen Jahrzehnten stammen – nicht aber der Ostteil der A100. Daß die Verwechslung möglich war, lag natürlich daran, daß die gestern vorgestellte Planung die Handschrift der sechziger Jahre trägt: Haase will auf sechs Kilometer Länge eine Asphaltwalze rollen lassen, um auf der plattgepreßten über 30 Meter breiten Schneise täglich 130.000 Motoren mit 520.000 Rädern knattern zu lassen.
Von Entlastung spricht der Mann, behauptet, daß in der Innenstadt weniger Autos fahren würden. Tatsächlich gießt der Senator der Öffentlichkeit aber nur heißes Motoröl in die Augen, denn jedes Auto, das später einmal die Stadtautobahn benutzen wird, wird durch ein neues in der Innenstadt ersetzt. Die Zuwächse – und das bestätigen selbst die Planer in Haases Verwaltung – werden jeden Erfolg konterkarieren. Aber noch fataler ist, daß Haase keinen Gedanken daran verschwendet hat, ob die autofahrende Menschenmenge und die Güter, die sich einmal auf der neuen Autobahn entlangquälen sollen, nicht anders transportiert werden könnten, etwa mit Bussen, der S-, U- oder Straßenbahn. Verantwortungsvolle Politiker dürften einen neuen Meter Straße ohnehin nur planen, wenn die Klimakatastrophe und Sommersmog kein Thema mehr wären. Autofahrer Haase aber fährt in seiner unbekümmerten Art mit politischem Blei(frei)fuß in die sechziger Jahre. Dirk Wildt
Der Autor besitzt neuerdings wieder ein eigenes Auto
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