Austauschstudierende in China: Gehen oder bleiben?
Wegen des Coronavirus leben ausländische Studierende in China unter Quarantäne. Drei Betroffene erzählen vom Ausnahmezustand.
Auch kursieren Fotos, auf denen Tonnen an geschredderten Büchern, Elektronikgeräten und Kleidungsstücken im Innenhof zu sehen sind. Tatsächlich wurden im Epizentrum des Coronavirus die Anlagen von jeweils zwei Universitäten und Berufsschulen vorübergehend zu medizinischen Einrichtungen umfunktioniert, um Patienten mit leichten Symptomen zu behandeln.
Viele Studierende der betroffenen Unis sind erbost, sie wurden vorab nicht über die Säuberungsaktion informiert. Die Schulleitungen sahen sich schließlich gezwungen, eine offizielle Entschuldigung zu posten.
Bis Donnerstagfrüh mitteleuropäischer Zeit stieg die offizielle Gesamtzahl der Todesopfer in Festlandchina auf mindestens 1.355. Der Gesundheitsausschuss der Provinzregierung teilte ferner mit, dass in Hubei bei 14.840 weiteren Menschen eine Ansteckung mit dem Erreger bestätigt worden sei. Die offizielle Gesamtzahl der Krankheitsfälle in Festlandchina stieg damit auf fast 60.000.
Universitäten und Schulen geschlossen
Als Erstes haben die Pekinger Universitäten den Beginn des Sommersemesters auf unbestimmte Zeit hinausgeschoben. Mittlerweile sind die Hochschulen im ganzen Land geschlossen, ebenso die Schulen. Mittlerweile findet aber wieder Unterricht statt: online über Videoschalten.
In Wuhan, der abgeriegelten 11-Millionen-Einwohner-Metropole, sitzen auch Zehntausende Studierende fest. Allein an der Wuhan-Universität sind 52.000 immatrikuliert, davon 2.000 aus dem Ausland. Wie die meisten Bildungsinstitutionen hat sie zwar die Anzahl der Infizierten erhoben, jedoch nicht veröffentlicht. Ein Angestellter des Lehrstuhls sagt jedoch unter vorgehaltener Hand, dass diese „nicht sehr hoch“ sei.
Verwunderlich ist das nicht: Besonders gefährdet durch die Lungenerreger gelten vor allem ältere Personen, deren Körper keine starke Immunabwehr herausbilden können.
An etwa 400 der rund 2.631 staatlichen und staatlich anerkannten Universitäten in China werden ausländische Studierende zugelassen. Deren Zahl belief sich im Jahr 2018 auf fast 492.000, darunter 73.000 aus Europa und 81.000 aus Afrika. Seit Ausbruch des Coranvirus berichten ausländische Studenten, dass sie de facto ihren Universitätscampus nicht verlassen dürfen (siehe Protokolle weiter unten).
Deutsche Unis ziehen Konsequenzen
Universitäten im Ausland zeigen sich zunehmend besorgt. Allein Deutschland unterhält nach Angaben des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) aktuell 1.383 Hochschulkooperationen mit China. Die Uni Bielefeld beispielsweise hat deshalb beschlossen, dass Studenten und Mitarbeiter, die sich seit dem 1. Januar in China aufgehalten haben, den Campus bis zwei Wochen nach ihrer Rückkehr nicht mehr betreten dürfen.
Die Freie Universität Berlin und die Universität Hamburg haben aus Angst vor dem Virus einen vollständigen Stopp geplanter Dienstreisen nach China durchgesetzt.
Andere Unis sind da gelassener: Die Münchner Ludwig-Maximilians-Universität etwa bietet ihren Mitarbeitern, die in China waren, die Option zum 14-tägigen Homeoffice.
Dahiru Nasiru Sintali: „Ich bleibe in China“
Als ich zum ersten Mal von dem Coronavirus hörte, klang das schrecklich. Gleichzeitig konnte ich es nicht richtig ernst nehmen und habe meinem besorgten Vater gesagt: Sie werden das schnell in den Griff bekommen. Ich dachte nämlich an das Jahr zurück, in dem ich nach China gekommen bin. Das war 2014.
In dem Jahr habe ich in China mein Pharmaziestudium begonnen. In Westafrika hatten wir gerade Ebola, und als wir in China ankamen, gab es schon Vorsichtsmaßnahmen. Am Flughafen wurden Studierende aus Afrika in Quarantäne genommen. Ich nicht, denn Nigeria galt bereits als ebolafrei. Außerdem war Gombe, woher ich komme, weit weg von Lagos und nicht betroffen. Andere Studierende mussten aber 14 Tage lang in ihren Zimmern bleiben. Man brachte ihnen Essen, täglich wurde Fieber gemessen.
Auch heute gibt es zahlreiche Maßnahmen, um das Coronavirus zu bekämpfen. Auf wissenschaftlicher Ebene werden Fortschritte erzielt, weshalb ich nicht so besorgt bin. Die Todesrate ist mit gut 2 Prozent viel geringer als bei anderen Epidemien. Die Zahl derer, die das Virus überleben, steigt. Damit es sich nicht noch mehr ausbreitet, hilft es, wenn die Menschen zu Hause bleiben.
Es ist auch ist gut, dass so viele Flüge eingestellt wurden. Ich selbst halte mich ebenfalls an die Regeln. Ich habe mir einen Vorrat angelegt und muss mein Zimmer nur selten verlassen. Ist es doch nötig, dann wasche ich mir nach der Rückkehr sofort die Hände. Ich plane nicht, nach Nigeria zurückzukehren. Kommiliton*innen haben zwar Tickets gekauft und wollen zurück. Für mich ist das aber keine Option. Ich bleibe in China.
Dahiru Nasiru Sintali, 25, kommt aus Nigeria und studiert an der China Pharmaceutical University (CPU) Nanjing in der Provinz Jiangsu Pharmazie.
Ahmad Tahir Sintali: „Viele haben Angst“
Ich bin 2015 nach China gekommen und studiere Medizin. Meine Kommiliton*innen kommen aus zehn verschiedenen Ländern. Bisher hatte ich eine gute Zeit, China ist ein sicheres Land ist. Nachts kann man hier zu Fuß gehen.
Umso trauriger ist der Ausbruch des Virus. Die Lage ist ernst, auch in meiner Provinz herrscht Ausnahmezustand. Banken, Geschäfte und Krankenhäuser sind sehr vorsichtig geworden. Egal wo man hinkommt: Zuerst wird Fieber gemessen. Draußen tragen die Menschen Mundschutz. Universitäten bleiben geschlossen. Das gilt auch für unseren Campus. Wir brauchen eine Genehmigung, um das Gelände überhaupt verlassen zu dürfen. Die wird nur ausgestellt, wenn ein Grund vorliegt.
Meine Familie in Nigeria ist natürlich besorgt. Meine Mutter ruft mich täglich an. Viele Menschen denken, dass das Virus überall ist. Betroffen ist aber bisher vor allem Wuhan. Bleibt man also zu Hause, kann man sich auch nicht infizieren. Mir ist es wichtig, dass die Welt das weiß. Trotzdem haben viele Kommiliton*innen China verlassen, weil sie so große Angst hatten. In unserem Schlafsaal bin ich deshalb heute der einzige Nigerianer.
Dabei wäre ich im Ernstfall sowieso lieber in China. Die Krankenhäuser sind viel besser ausgestattet als in Nigeria. Das müssen wir ganz ehrlich zugeben. Für mich gibt es aber noch einen weiteren Grund: Wenn ich reise, könnte mich jemand anstecken, schon am Bahnhof oder im Flugzeug.
Vielleicht habe ich mich ja tatsächlich schon infiziert und bringe den Virus dann nach Nigeria. Ich bin in meinem letzten Studienjahr. Im Juni möchte ich mein Studium abschließen und nach Nigeria zurückgehen. Bis dahin will ich kein Risiko eingehen.
Ahmad Tahir Sintali, 23, kommt aus Nigeria und beendet dieses Jahr sein Medizinstudium an der Nanjing Medical University.
Robert N. K. Appiah: „Wir erfuhren kaum etwas“
Es ist mein viertes Jahr in China. Ich wollte schon immer Computerwissenschaften studieren. Zuerst hatte ich mich dafür an Universitäten in Ghana und Indien beworben. Doch gerade in China entwickelt sich der Fachbereich rasant. Deshalb hab ich mich für dieses Land entschieden.
Als Vizepräsident der nationalen Union ghanaischer Studierender in China (NUGS) habe ich viel Kontakt zu Studierenden aus Afrika. Allein an meiner Universität gibt es 285 ghanaische Studierende. Dazu kommen Studierende aus Ländern wie Nigeria und Äthiopien. Mit anderen ghanaischen Studierenden in China, auch jene, die in Wuhan sind, stehe ich in ständigem Austausch. Dort befürchtete man zuerst, dass zahlreiche Menschen an einer Lungenentzündung erkrankt waren. Dann wurde uns jedoch klar: Das ist das Coronavirus.
Anfangs erfuhren wir kaum etwas darüber. Dennoch versuchen wir, so viele Informationen wie möglich an die Studierenden weiterzugeben. Dazu gehören Verhaltensregeln, die sich im Laufe der Wochen auch für unsere Stadt Chengdu verschärft haben.
Bis heute ist unser Leben unter Quarantäne alles andere als einfach. Studierende geraten in Panik. Wir müssen sie beruhigen. Gerade junge Menschen haben Schwierigkeiten, wenn sie zum Beispiel ihre Zimmer nicht verlassen dürfen. Sie halten das einfach nicht aus. Für sie wäre es wirklich gut, wenn sie nach Ghana zurückkehren könnten.
Für mich selbst ist aber klar: Als Verantwortlicher kann ich China nicht verlassen, solange andere ghanaische Studierende noch im Land sind. Selbst wenn es nur noch einer ist: Ich bleibe.
Robert N. K. Appiah, 29, kommt aus Ghana und studiert Computerwissenschaften an der University of Electronic Science and Technology of China in Chengdu.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag