Ausstellung: Mit sanfter Gewalt an die Alster
Als wolle er sich dem Stadtmarketing andienen, hat Hubertus Gaßner, Direktor der Hamburger Kunsthalle, eine Schau mit Hamburg-Gemälden des 19. und 20. Jahrhunderts initiiert. Ganz von selbst malten die Künstler die Stadt allerdings nicht.
"Hamburger Ansichten" zu zeigen, ist eine feine Sache: Das Stadtmarketing jubelt, der konservative Hanseat auch, die Zugereisten sowieso. An sich also eine gute Idee, in der Hamburger Kunsthalle eine entsprechende Ausstellung mit dem Untertitel "Maler sehen die Stadt" zu zeigen. Kunsthallen-Direktor Hubertus Gaßner präsentiert hier im Wesentlichen die "Sammlung von Bildern aus Hamburg", die der erste Kunsthallen-Direktor Alfred Lichtwark 1889 initiierte. Auf den Spuren seiner Vorgänger wandelt Gaßner ohnehin gern - weniger auf denen seines unmittelbaren Erblassers, des Ex-Kunstvereins- und SPD-Mannes Uwe M. Schneede, als auf denen des 1990 ausgeschiedenen Werner Hofmann, dessen Ankäufe er jüngst präsentierte. Es scheint, als ob Gaßner immer ein bisschen im Schatten wandelte, sich andererseits ein Stück der Aureole der Vorväter erhoffte, indem er sie kopiert.
Nun hat er sich also Lichtwark vorgenommen, der Ende des 19. Jahrhunderts erkannte, dass die konservativen Hanseaten noch einem kleinteiligen Realismus frönten, als in Frankreich schon der Impressionismus blühte: das freie Spiel mit Licht und Farben. Die Hanseaten stritten indes unverdrossen darüber, ob man einen Schatten auch mal grellrot oder grün malen dürfe.
Lichtwark fand, solches Hinterwäldlertum gehöre beendet. Er wollte fortschrittliche Künstler fördern - doch konservative Kulturhaushalt-Verwalter verweigerten ihm dafür die Ankaufsmittel. Dann müsse man die zögerlichen Hanseaten eben allmählich an den neuen Stil gewöhnen, dachte Lichtwark. Er lockte renommierte Künstler wie Max Slevogt mit lukrativen Porträt-Aufträgen in die Stadt, auf dass nebenbei ein paar Hamburg-Ansichten entstünden. Zur Not zeigte er ihnen die idyllischsten Stellen selbst - übrigens auch den Hamburger Künstlern, die von ihren Kollegen lernen sollten. Sie gehorchten. Dann ermutigte Lichtwark sie, sich zusammenzuschließen. Auch das geschah: 1897 war der "Hamburgische Künstlerclub" geboren, dem unter anderem Ernst Eitner, Arthur Illies und Julius von Ehren angehörten.
Der 1886 angetretene Direktor der Hamburger Kunsthalle kann als früher Reformpädagoge gesehen werden.
Systematisch baute er für die Kunsthalle eine Sammlung mit mittelalterlicher, romantischer und impressionistischer Kunst auf.
Auf seine Anregung hin gründeten Ernst Eitner, Arthur Illies, Julius von Ehren und andere 1897 den impressionistisch inspirierten Hamburgischen Künstlerclub.
Auf sein Betreiben besuchten Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, die Skandinavier Frits Thaulow und Anders Zorn sowie die französischen Postimpressionisten Pierre Bonnard und Edouard Vuillard Hamburg.
Brücke-Künstler wie Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff schätzte er nicht. Denn Lichtwark wünschte motivische Wiedererkennbarkeit. Die war bei den Expressionisten nur eingeschränkt gegeben.
Dass dies von einem Museumsmann initiiert werden musste, zeugt von wenig Begeisterung für hamburgische Motive. Irritierend auch, dass künstlerische Weiterentwicklung quasi verordnet wurde. Die Hamburger Resultate waren eher verhalten impressionistisch und in Komposition, Farbgestaltung und Abstraktionsgrad mit denen eines Max Liebermann oder Pierre Bonnard nicht vergleichbar.
Das alles kann man in der Hamburger Schau sehr schön beobachten, und daran ist nichts auszusetzen. Leider hat sich Gaßner aber entschlossen, die Schau geradezu konträr zur Lichtwarkschen Idee zu konzipieren. Wo Lichtwark die Hamburg-Motive nutzte, um die Betrachter an den "modernen" Stil zu gewöhnen, sind sie für Gaßner Selbstzweck geworden: "Die Innenstadt", "Der Hafen" und "Die Elbe" sind die Ausstellungsräume betitelt und mit einem Mix aus Impressionismus und Expressionismus bestückt.
Dabei führen gerade die abstrakten Arbeiten Ballmers und Bargheers das heimatkundliche Ausstellungskonzept von Gaßner ad absurdum: Motiv und Ort sind ganz offensichtlich bloßer Anlass, um mit der Reduktion von Form und Farbe zu experimentieren. Kleinkariert wirken da die Fotos der realen Orte, die unter einigen Gemälden prangen, als ginge es um eine Art Stadt-Expedition. Ein schlichter Ansatz, denn was ist gewonnen, wenn man weiß, dass Arthur Illies Schwäne auf der Alster schwimmen? Warum malte Theodor Joseph Hagen ausgerechnet das Steckelhörnfleet? Herrschaftsbilder sind sie allesamt, auf Stimmungen und Äußerlichkeiten beschränkt: Hamburg-Skylines, Hafenimpressionen, das Uhlenhorster Fährhaus bei Nacht. Wohlhabende Familien in Cafés, wichtige Männer auf dem Weg ins Kontor. Schmutz, Mühe, Arbeiter sind nirgends zu finden: eine Sammlung, die stilistisch innovativ, aber thematisch affirmativ war. Ihre Motive entsprachen der Schicht, die Lichtwark einst ansprechen wollte: Wohlhabende, die in moderne Kunst investieren sollten. Im Gegenzug wurde ihre Sicht, ihre Binnenwelt gezeigt - mit touristisch-distanziertem Blick.
Letztlich ist Lichtwarks Kalkül aufgegangen: Impressionistische, gar expressionistische Kunst zählt längst zum Repertoire konservativ-hanseatischen Kunstgeschmacks. Moderneres zeigt die Hamburger Ausstellung nicht - von einigen Fotostrecken Andreas Feiningers, Herbert Lists und Albert Renger-Patzsch abgesehen. Und so keimt leise der Verdacht, als habe sich Gaßner dem Stadtmarketing andienen wollen: mit einer Schau, die beweisen soll, wie sehr renommierte Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts Hamburg schätzten. Das allerdings wäre ein Trugschluss: Sie mussten zu diesen Bildern gedrängt, die auswärtigen listenreich in die Stadt gelockt werden. Keine Rede davon, das die Stadt so magnetisch gewesen wäre wie Berlin oder Paris.
An diesem Punkt hat sich bis heute nichts geändert: Fehlende preisgünstige Ateliers treiben Künstler nach Berlin, schrumpfende Etats etwa für Kunst im öffentlichen Raum nehmen ihnen Betätigungsfelder. Das Hamburg-Marketing wiederum hat die Kultur zwar entdeckt - aber einigermaßen gegen den Willen der Künstler, wie das jüngste Anti-Vereinnahmungs-Manifest "Not in our Name" zeigt.
So bleibt das Problem, was es zu Lichtwarks Zeiten war: Als Marke funktioniert Hamburg gut, als Hort der Kunst nur mäßig. Fehlt eigentlich ein Kunsthallen-Direktor wie Lichtwark. Zwar war sein Konzept - auch - eine Marketing-Idee. Aber letztlich zielte er auf Bildung und Künstlerförderung. Solch hehre Ziele sind der aktuellen, nutzerfreundlichen Hamburger Ausstellung fremd.
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