Ausstellung über Prepared Pianos: Ein Klavier aus Klopapier
Eine Ausstellung im KW Institute of Contemporary Art Berlin zeigt Kunst-Pianos. Sie stammen aus der Sammlung des Mäzens Francesco Conz.
Schon mal mit einem Klavier telefoniert? Bis zum kommenden Sonntag ist das locker drin, unweit des ehemaligen Haupttelegrafenamts in der Oranienburger Straße in Mitte. Am Mittwochabend eröffnete dort im KW Institute for Contemporary Art die Ausstellung „Pause: Broken Sounds / Remote Music“. Sie zeigt eine Auswahl von 24 künstlerisch präparierten Klavieren aus der Kollektion des italienischen Mäzens und Sammlers Francesco Conz.
Und links von der Mitte findet sich tatsächlich im Ausstellungsraum ein Trumm von Konzertflügel, in dessen Resonanzraum anstelle der Saiten über 30 Telefone eingearbeitet worden sind. Die Fernsprecher scheinen über einen längeren Zeitraum gesammelt worden zu sein: Einige von ihnen wurden dereinst noch mit einer Drehscheibe bedient, andere sind im Rot des Kalten Krieges gehalten.
Ein schwerer schwarzer Kasten wartet mit mehreren Knöpfen zur Weiterverbindung auf, unter einem steht: „Centr“. Nur, dass nicht mehr die Zentrale rangeht, sondern der Apparat Mitglied eines vielstimmig klingelnden Telefonorchesters geworden ist, dirigiert mittels der Tasten, die den Geräten zugeordnet sind. Wer denkt sich sowas aus?
Der Ingenieur dieser 1999 entstandenen doppelten Verfremdung von Klavier und Telefon war der US-amerikanische Künstler und Aktionskunst-Theoretiker Allan Kaprow, ein Schüler von John Cage. Dieser, in Ermangelung eines besseren Wortes der Avantgarde zugeschlagen, hatte um 1940 die Technik des präparierten Klaviers entwickelt, mittels Radiergummis, Metalls und Papiers den Saiten ungewohnte Töne zu entlocken.
Eigenwillige Spielzeuge entwickeln
Wie oft in solchen Fällen darf bezweifelt werden, ob Cage Erfinder dieser Technik war, er selbst hätte auf diesen Titel vielleicht auch gar keinen Wert gelegt. Ähnliche Spielweisen der Klaviersaiten lassen sich bis in das 18. Jahrhundert zurückverfolgen, mittlerweile ist das präparierte Klavier mit seinen oftmals perkussiven Sounds im Jazz und der Neuen Musik zuhause.
„Pause: Broken Sounds / Remote Music“, noch bis 19. Januar, KW Institute of Contemporary Art Berlin
Und nicht nur da: Hörer:Innen Nick Caves kennen es vom Album „The Boatman’s Call“ und dem Song „West Country Girl“, in dessen Besetzungsliste Blixa Bargeld unter „Piano Treatment“ verzeichnet ist. So unakademisch jedenfalls lässt sich auch mit dem Klavier umgehen. „Verspieltheit“ sei es, was er von Cage gelernt habe, erinnert sich wiederum Kaprow in „Where the Heart Beats: John Cage, Zen Buddhism, and the Inner Life of Artists“, einem Buch der Kunstkritikerin Kay Larson und erzählt von dem befreienden Effekt, den es gehabt habe, eigenwillige Spielzeuge zu entwickeln und ihnen Geräusche zu entlocken.
Wie klingt das noch, so es überhaupt möglich ist? An dieser Stelle muss ein arg strapazierter Satz umformuliert werden; in dieser Ausstellung hört das Auge mit. So ist in unmittelbarer Nachbarschaft von Kaprows fernsprechendem Klavier ein Objekt des italienischen Komponisten Walter Marchetti zu inspizieren, das „Piano del papel higiénico“.
Kunst, Nation und Tradition sind keine Heiligtümer
Richtig, ein Ensemble aus vielen, sehr vielen Rollen Toilettenpapier, einen Konzertflügel formend. Dann ist da eine namenlose Installation, zwei Dutzend hölzerne Gehstöcke in ein Klavier und seine Tastatur montiert: ein Objekt des serbischen Konzeptkünstlers Raša Todosijević. Der Belgrader weiß, warum ihm Kunst, Nation und Tradition keine Heiligtümer sind.
Und wer hat eigentlich postuliert, dass ein Piano gediegen schwarz zu sein hat? Der Flügel, den die US-Malerin Dorothy Iannone in „A Souvenir for Ajaxander“ verwandelt hat, war einmal schneeweiß gewesen. Sie hat ihn mit detaillierten, farbenfrohen Szenen vergnüglichen Liebeslebens verziert. Und einige Schritte weiter wartet doch glatt ein Haribo-Klavier, ein von der Wahlberlinerin Ann Noël in Gelb und Orange getauchtes Instrument, das mit vier Reihen Gummibärchen in allen Farben, die die Tüte so zu bieten hat, verziert ist.
Das kann dann nur das Instrument sein, an welchem der New Yorker Pianist und Organist Charlemagne Palestine seinen Teil des Begleitprogramms bestreiten sollte: Palestine, vorigen Herbst in der Friedrichshainer Zwingli-Kirche zu hören gewesen, ist einer, für den der Teddybär über schamanistische Kräfte verfügt und von daher auf jedem Konzert dutzendfach dabei sein muss. Heute also wird es passieren, dass Gummi- und Stoffpetz einander anrufen. Besucher von Palestines Konzerten wissen, dass dabei das Klavier Cognac trinken dürfte.
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