Ausstellung in der Eres-Stiftung: Und dann sind wir Bambi

Die Gruppenausstellung „And the forests will echo with laughter“ in der Münchner Eres-Stiftung widmet sich dem Wald als sozialem Raum.

Installationsansicht der Arbeit von Martin Kippenberger

Martin Kippenbergers Beitrag „Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald“ Foto: Eres-Stiftung, Thomas Dashuber

Die Eres-Stiftung vermittelt naturwissenschaftliche Fragestellungen durch die Mittel von Kunst und Kultur. Diese Selbstbeschreibung klingt ein wenig dürr. Und dehnbar. Doch da gibt es noch ein Nietzsche-Zitat, das sich die Stiftung zu eigen gemacht hat: „Das Leben ist wert gelebt zu werden, sagt die Kunst, die schöne Verführerin; das Leben ist wert erkannt zu werden, sagt die Wissenschaft.“ Und schon nähert man sich ihrem Anliegen, sich als aktuelle, oft auch akute Schnittstelle zu präsentieren.

Mit wechselnden Langzeitausstellungen in den Münchner Räumen, einem jeweiligen, ausgesprochen solide besetzten Vortragsprogramm und inzwischen auch einem Podcast werden bevorzugt umweltrelevante Themen sinnlich und diskursiv dargelegt.

Derzeit geht es – zunächst eher irritierend – um den „Wald ohne Bäume“. Noch sind wir nicht so weit, aber seine Bedeutung als sehr realer und unverzichtbarer Lebensraum wie als traumverlorener und mystisch überhöhter Sehnsuchtsort wird, entgegen allen anderslautenden Beteuerungen, gelinde gesagt, unterschätzt. „And the Forests will echo with laughter“, so der Titel der Ausstellung, klingt daher wie eine Drohung, kann aber auch als souveräner Hinweis gedeutet werden, dass er, der Wald, prima ohne Menschen mit ihren kurzsichtigen, profitorientierten, manchmal auch wohlmeinenden, jedoch verheerenden Ideen und Aktivitäten auskommen wird.

Der Titel ist eine Zeile aus Led Zeppelins „Stairway to Heaven“, der, wie Robert Plant, der Sänger und Poet der Band, einmal sagte, ein „song of hope“ sei, sich aber ebenso auf eine Frau beziehe, die glaubte, sich einen Zugang zum Himmel, zu ihrer Scheinwelt des Glücks einfach kaufen zu können, die alles haben wollte und keinerlei Bereitschaft zeigte, etwas zurückzugeben. Der Verweis auf unseren immer noch zivilisatorisch abgesegneten, maßlos fordernden Umgang mit der Natur liegt auf der Hand.

Vehikel tradierter Befindlichkeiten

Die künstlerischen Positionen der komprimierten Präsentation fokussieren auf den Wald als Projektion: als sozialen Raum mit scheinbar undurchdringlichem, weil ausgeklügeltem Ökosystem, aber auch als Stimmungsgenerator und Vehikel tradierter Befindlichkeiten.

Eres-Stiftung, bis 27. März 2021. Programm

Im kleinen Vorgärtchen empfängt den Besucher hinter dichten Hecken zartes Vogelgezwitscher, verwoben mit einer Klangkomposition, die auf einer mathematisch exakten Langzeitbeobachtung des Flug-, Fress- und sonstigen Verhaltens der Vögel in einem nordischen Garten beruht (Marcellvus L & Munan Øvrelid, Norwegen/Island). Die Tür zum Ausstellungs-Souterrain öffnet sich quietschend – ins Innere einer winzigen Holzhütte, in der es rauchig und penetrant nach Harz riecht. Der Österreicher Hans Schabus hat uns in eine Falle gelockt.

Die unmittelbare, kindlich internalisierte Beklemmung weicht mit dem Blick durch eines der beiden Glasfenster auf zwei Videoscreens. Er schweift über irgendwie unheimliche Waldstücke. Es sind die Ausblicke aus den Klausen zweier Einsiedler. Der US-Amerikaner James Benning hat die Blockhütte des hochromantisierten Schriftstellers und Kurzzeitaussteigers Henry David Thoreau („Walden; or, Life in the Woods“) nachgebaut, und die des Unabombers Ted Kaczynski, eines ehemaligen Mathematikprofessors, der beschlossen hatte, mit Bombenattentaten etwas gegen die seiner Meinung nach unerträgliche und gefährlich ausufernde Technisierung und Industrialisierung zu unternehmen. Viele Menschen wurden verletzt, drei getötet. Der gewissenlose Weltverbesserer blieb lange Zeit in seinem Unterschlupf nahe Lincoln, Montana unentdeckt. Denn der Wald bietet Schutz, Gut oder Böse ist hier keine Kategorie (… echoes with laughter).

Anarchie des Banalen

Durch ein zweites Fenster im beklemmenden Hüttchen sieht man die wunderbare Videoarbeit „Der rechte Weg“ von dem Schweizer Künstlerduo Fischli/Weiss. 1983, als das Waldsterben großes Thema war, verkleideten sich die beiden als Bär respektive Ratte und strolchten quatschend, staunend, philosophisch angehaucht im Wald umher, genossen die Natur und sonstige Weltwunder jenseits toxischer, vor allem aber blockierender Allerweltsszenarien. Der drohenden Katastrophe, gleich welcher Art, trotzten die beiden stets mit Anarchie, am besten in der Extremgestalt des Banalen.

Ist man der engen Hütte entkommen, folgt man dem ziemlich ernsthaften und ebenso untauglichen Versuch John Baldessaris, einer Topfpflanze das Alphabet beizubringen. In einem Video von 1972, das dem Wunsch des Menschen, auf seine Weise mit der Natur zu kommunizieren, eine absurd-komische Absage erteilt.

Nicht weniger surreal mutet die Dokumentation von Alfred Littmanns temporärer Installation „For Forest“ an. Zusammen mit dem Landschaftsarchitekten und Künstler Enzo Enea hat er im vergangenen Jahr, gegen einigen Widerstand der Klagenfurter, in das Spielfeld des Wörtherseestadions fast dreihundert Bäume gestellt. Spektakulär. Der Wald als Ausstellungsobjekt, transferiert in ein äußerst kommerziell aufgestelltes Vergnügungsareal. Ein Mahnmal im Einklang mit derzeit angesagtem Bäume­-Umarmen und Waldbaden. Nun gut, wir haben verstanden.

Bislang im Wortsinn unerhört, verknüpft der Schweizer Marcus Maeder Kunst und Wissenschaft. Kriecht man in seine konisch zulaufende Kegelbehausung, machen Touchscreen, Sonifikation und andere technische Finessen den CO2-Gehalt des Amazonas-Regenwaldes in den unterschiedlichen Re­gio­nen und Lebensräumen zum Hör­erlebnis.

Raum für Pflanze, Mensch und Tier

Maeders ganz spezieller Form der Naturbeobachtung verdanke die Forschung nun, wie es im Begleittext heißt, „dass ein weiterer Parameter eingeführt wurde: der akustische Index. Mit seinen Spezialmikrofonen kann er selbst kleinste Lebewesen zum Beispiel im Wurzelraum erfassen und damit die Bioversität auf betörend-sinnliche Weise erfahrbar machen.“

Betörend deutlich mokierte sich Martin Kippenberger in seiner Vitrinenarbeit mit Birkenstämmen aus Pappe und hölzernen Riesentabletten über den arg strapazierten Sehnsuchtsort Wald („Jetzt geh ich in den Birkenwald, denn meine Pillen wirken bald“, 1993). Immerhin wachsen dort auch Magic Mushrooms und laden zur erlösenden Flucht. Das „Mushroom Book“ von John Cage entstand 1972 in Zusammenarbeit mit dem Mykologen Alexander H. Smith und der Künstlerin Lois Long.

Es belegt mit handgeschriebenen Text- und Gedichtpassagen, mit wissenschaftlichen Erklärungen und minutiös gezeichneten Wiedergaben der verschiedenen Pilzsorten die Leidenschaft des Komponisten für ein zeitlebens unerfüllt angestrebtes, einfaches Leben samt Waldeinsamkeit, Pilzbeobachtung und -genuss.

Mit den insgesamt zwanzig bei aller thematischen Übereinkunft ausgesprochen unterschiedlichen Arbeiten von Albert Oehlen, Luisa Baldhuber, Miriam Ferstl und anderen entsteht ein künstlerisches Kaleidoskop überlappender, statischer, angenehm uneindeutiger Positionen zu einem als Netzwerk zu begreifenden Raum für Pflanze, Mensch und Tier.

Das Künstlerduo Broersen & Lukács widmet sich diesem symbiotischen Ansatz, indem es die Ambivalenz von Virtualität und Wirklichkeit in einer hochkomplexen 3-D-Installation zusammenfügt. Es lässt den Blick im vertrauten Disney-Dschungel schweifen, untermalt von den altbekannten Klängen; eine Tiefenillusion entsteht, kein Tier, kein Mensch weit und breit, nur der unwiderstehliche Sog. Und wir sind Bambi.

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