Ausstellung in Kieler Kunsthalle: Der Horizont so weit
Landschaft ist das, was der Mensch draus macht. Wie vielfältig diese Ideen und Konstruktionen sind, lässt sich in der Ausstellung "Weltsichten - Landschaft in der Kunst vom 17. bis zum 21. Jahrhundert" erleben. Diese ist in der Kieler Kunsthalle zu sehen.
KIEL taz | Es ist kein besonderer Ausblick, der sich von dieser Bahnüberführung aus bietet: Leere Gleise, die Signale stehen auf Rot, niemand lässt sich auf den Bahnsteigen blicken. Nichts fährt hier mehr. Bis einem plötzlich am linken Rande des Bildschirmes kleine, flitzende Punkte auffallen: Autos, die eine schwer einsehbare Straße entlanghetzen.
Wir schauen auf das Bild einer Bahnanlage, aufgenommen von einer Kamera von einer überdachten Bahnüberführung herunter. Dann und wann huschen Schatten über die Bildoberfläche: Passanten wie du und ich, die es hinter unserem Rücken eilig haben, während unser Blick dank der eingestellten Kameraperspektive auf das stumme Bahnareal starr bleiben muss.
Wer mag, kann jetzt zum ausliegenden Kopfhörer greifen und die Stille verschwinden lassen: Schritte die Treppen hoch, die Treppen hinunter. Dann Stimmen, oft undeutlich, bis irgendwann eine Kinderstimme ruft: "Was ist das da?"
Ja, was ist das da, fragt sich auch der Besucher, wenn er in der Kieler Kunsthalle bei der Videoarbeit "VideoRhizom 2003" von Marcellvs L. angekommen ist. Es ist die letzte Station der Themenausstellung "Weltsichten - Landschaft in der Kunst vom 17. bis zum 21. Jahrhundert".
Ist die Landschaft nicht schon immer ein bloßes gedankliches Konstrukt, bis dahin, dass selbst das Naturschutzgebiet ohne Planung und anschließende Überwachung des definiert Wilden nicht existiert?
Funktioniert Landschaft dennoch unverdrossen weiter als Sehnsuchtsort, bis uns jemand - die Künstler etwa - darauf hinweisen, dass wir uns nur etwas vorspiegeln, wo doch das Eigentliche sich in unserem Inneren erhebt? Und was wird dann mit unseren privaten Landschaftsbildern, die wir noch von der letzten Wanderung durchs Mittelgebirge in uns tragen?
Diese und mehr Fragen wirft die Ausstellung auf, die sich zum größten Teil aus der Sammlung von Alexander und Silke von Berswordt-Wallrabe speist, die sich in den letzten Jahren dem Sujet der Landschaftsabbildung verschrieben haben - umsichtig ergänzt durch Werke, die das Kieler Haus selbst besitzt.
Dass diese Ausstellung einfach richtig Spaß macht, liegt nicht nur an der Vielzahl der teilweise wenig bekannten Exponate. Mehr noch sind wuchtige Malerei, filigrane Zeichnung, dokumentarische Fotos und listige Materialbilder so geschickt zueinander gehängt, dass sich die rund 230 Bilder gegenseitig widersprechen, ergänzen oder sich kommentieren, denn gehängt wurde meist unchronologisch.
Diese Art der Präsentation, quer zu den Jahrhunderten und damit gegen die Stilepochen gebürstet, hat in der Kieler Kunsthalle gute Tradition: Deren einstiger Direktor Dirk Luckow (heute Chef der Hamburger Deichtorhallen) räumte bei seinem Amtsantritt 2002 mit dem traditionellen Prinzip "ein Raum pro Epoche" auf und installierte die Reihe "See History", bei der er den Sammlungsbestand des Hauses mal nach Themen, mal nach Betrachterstandpunkt neu zusammenwürfelte. Ein Resultat für die Besucher: Jeder bekam alles zu sehen, statt dass wie sonst üblich die älteren Gäste bei den Alten Meistern, die Mittelalten bei der Klassischen Moderne und die Jüngern beim Zeitgenössischen anzutreffen sind.
Diesem Auffrischen der Sehgewohnheiten folgt auch die Landschaftsausstellung, unterstützt durch eine illustre Ausstellungsarchitektur: Gleich im hohen Eingangsraum empfangen uns Waldpanoramen, mal in guter meisterlicher Manier gehalten und schwer gerahmt, mal von jüngeren Vertretern ebenso großformatig in Einzelteile, in Strukturen zerlegt.
Für die sonst etwas schwierig zu gestaltende Galerie hat sich das Haus etwas Charmantes ausgedacht: In einer langen Reihen hängen Bilder, die sich im weitesten Sinne mit dem Ende unserer Welt beschäftigen, das wir hinter dem letzten Wellenkamm oder der letzten noch erkennbaren Bergkuppe vermuten. Die Botschaft ist leicht zu entschlüsseln: Ohne die in die Ferne schauenden Menschen würde der gute, alte Horizont verlassen daliegen, und niemand würde sich um ihn kümmern.
Nur bei den niederländischen Meistern hat man eine Ausnahme gemacht und zeigt ihre ergriffen dunklen Werke in einem blauen Raum ganz für sich. Darunter zwei spannende Bilder von Otto Marseus van Schrieck und David Teniers der Jüngere: Bilder, in denen edle Menschen niedrigen Standes durch eine sanft hügelige Landschaft schreiten - und genießen.
Hier ist dann für einen Moment wieder alles so wie es sein soll. So eindeutig, so herzhaft unkompliziert kann ein Landschaftsbild also sein. Aber im nächsten Moment, weil längst mit geschärftem Blick unterwegs, erkennt der Betrachter ein nicht unwichtiges Detail: Auf beiden Bildern lauert im Hintergrund nebst schönster Kulisse: der Galgen.
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