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Ausgehen und rumstehen von René HamannAltern mit 25 eingestellt

Es kam mir vor, als sei ich seit fünf Jahren nicht mehr in diesem Laden gewesen. Aber es hatte sich so gut wie nichts geändert – außer der eigenen Konstitution. Das „Ick koof mir Dave Lombardo, wenn ick reich bin“ (irgendwann in den Nullerjahren war es mal cool, Läden lange Namen zu geben), kurz Lombardo, am Zionskirchplatz in Mitte, ist immer noch ein Raucherlokal mit Entlüftungsanlage, die leidlich bis gar nicht funktioniert, sodass man schon bei Eintritt das Gefühl bekommt, unter Tage zu atmen oder in einer nicht weichen wollenden Rußwolke zu stehen. Aber wenn in Rom, fang nicht gleich wieder das Rauchen an.

Irgendwoher dröhnte irgendeine Musik, die mal gut, mal schlecht war. New Wave, Heavy Metal, Rock ’n’ Roll. Uns gegenüber saßen zwei Jungs, die aus Hamburg kamen und keine 25 waren. Sie hatten eine betont lässige Körperhaltung und eine selbstbewusste Grundeinstellung, die irgendwie auch ma­chohaft wirkte, nur eben in jung und noch relativ machtlos. Sie waren eben erst nach Berlin gezogen, weil das hier einfach geiler ist als Hamburg, wo sie herkamen, und beratschlagten das weitere Vorgehen, indem sie per Kommunikationstool mit geschickten Herzchen junge Damen zu irgendwelchen Orten lotsten. Damen, die sie dann im Austausch untereinander in A-, B- und C-Kategorien einstuften.

Auf der anderen Seite saß ein Paar, das wohl noch keines war, obwohl sie jedenfalls sich schon ordentlich in Bereitschaft getrunken hatte. Als sie dann die beiden Exil-Hamburger um eine Zigarette anschnorrte, wurde sie bedient, aber augenblicklich genauso beflissentlich ignoriert. Don’t touch my bikini, kein Flirt mit einer Frau in Begleitung, man tauscht sich unter Jungs aus. Ihr Begleiter selbst fasste sie vorerst nicht an; konnte Desinteresse oder ausgeklügelte Taktik sein. Man weiß es nicht.

Ich könnte, dachte ich, eigentlich auch wieder 25 sein. Oder immer noch: Altern mit 25 eingestellt! Es fiele, also außer jetzt natürlich rein äußerlich, gar nicht groß auf. Die Verhaltensweisen der 25-Jährigen haben sich im Groben nämlich nicht groß geändert. Der einzige Unterschied scheint zunächst ein technischer zu sein: Vor, äh, tja, 22 Jahren gab es noch kein Smartphone und also auch kein Tinder. Was hätten das für Zeiten sein können! Am nächsten Morgen zeigten sich dann allerdings alle Anzeichen des Alters: Der Kater wird schlimmer, die Schmerzen nehmen zu, ich habe an dem Abend in der Räucherhölle nur drei Bier getrunken, die sich am nächsten Morgen anfühlten wie zehn.

Im Lombardo war es also voll, laut und lustig, es zogen immer wieder Großgruppen in Karawanenformation hinein und gleich wieder hinaus, entweder weil alle Plätze belegt waren oder der Rauch einfach nicht auszuhalten. Vielleicht werden in zwanzig, dreißig Jahren neue Serien produziert, die um die Nullerjahre herum spielen, in einer Ära, in der die letzten Raucherkneipen abrauchten, die letzten Zeitungen von älter werdenden Menschen in der Bahn gelesen und die letzten Kinofilme produziert.

Feste Beziehungen werden nur noch etwas für Leute ab 30 sein, also für Leute mit Reproduktionswunsch, die sich nach dem zweiten Kind wieder trennen. Also so in meinem Alter, so mit Mitte 40. In dem Alter, in dem man eher auf Restaurants steht, auf frühes Einschlafen in frisch bezogenen Betten, auf gepflegtes Arthousekino, auf Musik auf Vinyl. Auf Wochenenden mit ordentlich Wellness, irgendwo im Umland, und nicht auf späten, alkoholinduzierten Nachmitternachtshunger in einer Imbissbude auf der Kastanienallee.

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