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Ausgehen und rumstehen von Annina BachmeierWo seltsame Realitäten aufeinandertreffen

Weil man Berlin ab und zu verlassen sollte, ich das aber hin und wieder über Wochen oder gar Monate nicht tue, fahre ich am Sonntagnachmittag mit Y. zu den ehemaligen Beelitzer Heilstätten nach Brandenburg. Die waren früher mal Tuberkulose-Krankenhaus und Kriegslazarett und haben heute hauptsächlich Anziehungskraft für Touristen mit einer Leidenschaft für Verfallenes. In den Bee­­litzer Heilstätten war der verwundete Adolf Hitler nach dem Ersten Weltkrieg unglücklicherweise gesund gepflegt worden, später waren sie Militärkrankenhaus und Rückzugsort von Erich Honecker, bevor er und seine Frau im März 1991 in die Sowjetunion ausgeflogen wurden. Mitte der neunziger Jahre wurde das Krankenhaus geschlossen, die Gebäude standen leer, wurden geplündert und Kulisse für illegale Partys, Musikvideos von Rammstein, Graffitikünstler, tödliche Unglücksfälle, Filmdrehs, Morde und Selbstmorde.

Von der schicksalhaft-schauerlichen Aura, die die Ruinen der Heilstätten bis vor einigen Jahren umgeben haben muss, scheint nicht mehr viel übrig zu sein. Vielleicht bemerkt man sie noch ein bisschen, wenn man die Augen zusammenkneift und die grünen Metallgitterzäune um die Ruinen wegdenkt und ebenso die Parkplätze voller Autos, Softeis-Stände und Menschentrauben in bequemem Outdoorlook. Aber eigentlich sind es nur mehr Mauern hinter Zäunen, und ich fühle mich ein bisschen wie in einem Tierpark für Geschichte.

Eine Art Gruselkabinett

Wir schlendern um die Gebäude mit den riesigen herausgeschlagenen Fenstern, durch die noch vereinzelt klinisch azurblau geflieste Wände blitzen, und den langgezogenen Balustraden, auf denen früher Reihen von geschwächten Tuberkulosepatien­ten ihre Sonnenstunden verbracht haben müssen. Durch den ehemaligen Luftschutzbunker, der jetzt wohl eine Art Gruselkabinett sein soll, rennen schreiende Kinder und erschrecken sich immer wieder fröhlich vor ihrem Spiegelbild in einem Verzerrspiegel mit goldenem Rahmen, der in einer Ecke steht.

Auf dem Gelände gibt es eine besondere Touristenattraktion namens Baumkronenpfad, der sich auf Pfeilern am ehemaligen Hauptgebäude entlang durch die Luft schlängelt. Für 11 Euro kann man den Pfad entlangspa­zieren, Ruinen und Baumkronen von oben betrachten. Wir zahlen also und begeben uns auf den Pfad. Über dem Wald ist die Luft so herbstlich sonnendunstig, und Blätter und Nadeln haben alle möglichen Schattierungen von Grün und Rot.

Neben dem Pfad ist vom Dach eines Gebäudes nur noch ein eiserner Dachstuhl übrig geblieben, im Boden des obersten Stockwerks wuchern Sträucher und Bäume, deren Wurzeln aus der Decke in das Stockwerk darunter hängen und der Ruine etwas Irrsinniges, Postapokalyptisches geben, das in krassem Gegensatz steht zu dem Baumkronenpfad auf den riesigen Metallpfeilern mit den Touristen daneben, so als würden zwei seltsame Realitäten sich kurz treffen und aneinander entlang schrammen.

Zurück auf dem Parkplatz haben Y. und ich Hunger und keine Lust, schon wieder nach Berlin zu fahren. Wir wollen noch mehr Ländliches und machen uns deshalb auf zum einzigen anderen auffindbaren Ziel in der Nähe: die Kürbisausstellung im Spargel -und Erlebnishof Klaistow. Wir fahren über ein paar Landstraßen und kommen zu einem riesigen mit Familien und Kürbissen in allen erdenklichen Größen und Formen überfüllten Areal. Kurz vor dem Eingang zu Kürbissausstellung, die von einer Mauer aus mit Steinen gefüllten Metallkörben umgrenzt ist, auf denen Reihen von Kürbissen thronen, verlässt uns plötzlich doch der Mut, wir laufen zum Auto und fühlen uns ein bisschen glücklich, als Berlin uns kurze Zeit später wieder in seinem Smog verschluckt.

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