■ So wie Werner Schulz „werden sehr viele in der Bevölkerung gedacht haben“ : Ausdruck tiefen Unbehagens
betr.: „Ein Stück Volkskammer. Der Grüne Werner Schulz zieht einen harten Vergleich. Die Union jubelt, verstummt aber bald. Bei den Grünen entlädt sich kollektive Wut“, taz vom 2. 7. 05
Nichts fürchtet ein unterdrückerisches System mehr als den einzelnen Abweichler. Er bedroht mit seiner Widerrede einerseits das Regime und stört andererseits den labilen inneren Frieden der Mitläufer. Er verstärkt und legt bei den Mitläufern das Unbehagen offen, das sich mit dem eigenen, oft selbst als nicht richtig empfundenen Verhalten verbindet: Gerade deshalb wird der Abweichler von den Mitläufern oft härter bekämpft, als der eigentliche Unterdrücker.
Wir leben nicht in einem unterdrückerischen System. Mitglieder unserer Parlamente können, ohne wirkliche Bedrohung befürchten zu müssen, frei nach ihrem Gewissen abstimmen. Aber bei der Abstimmung am letzten Freitag scheinen viele ParlamentarierInnen entgegen besserem Wissen – und entgegen dem eigenen Unwohlsein mit dem Procedere – dem Vorschlag des Parteichefs der SPD gefolgt zu sein. Und haben damit eine veränderte Richtung des Verhaltens gezeigt, die nur bedingt von freier Entscheidung geprägt zu sein scheint.
Herr Schulz hat diese Tendenz und die manipulativen Methoden, die diese Veränderung des Verhaltens befördert haben, in der DDR beobachten können. Mit seiner Überzeichnung hat er eindrucksvoll und unüberhörbar vor den Folgen dieser Entwicklung gewarnt. Schon der Ermittler der Flickaffäre hat mit dem Bild „das Recht stirbt in Zentimetern“ auf dieses bedrohliche gesellschaftliche Moment hingewiesen. Hochachtung vor Herrn Schulz, der in der dem Leben innewohnenden Notwendigkeit, Kompromisse zu finden, nicht zu einem orientierungslosen Pragmatiker verkommen ist. Es ist ihm zu danken, dass er sich dieser mal offenen und mal schleichenden, aber eben nicht zu leugnenden Verbiegung der Grundordnung entgegengestellt hat.“ VOLKER HAUTH, Hamburg
Von Jürgen Habermas, der einst auszog, für Dolf Sternbergers Konzept des Verfassungspatriotismus zu werben, hört man dieser Tage nicht so viel. Da ist es gut, einen Werner Schulz im Bundestag zu wissen, der sich nicht scheut, einige der sehr offenkundigen parlamentarischen Absurditäten als solche zu benennen. Mit seiner Rede hat er bewiesen, wie unsinnig es wäre, ihn als ehemaligen Bürgerrechtler zu bezeichnen. Aus seiner Fraktion unterstützte ihn allein Antje Vollmer mit Beifall und einem Händedruck. Die Grünen werden beide durch Nachwuchskräfte ersetzen wollen, denen die Fraktionsdisziplin heilig ist. REINHARD MARKNER, Berlin
Ich bin sicher, was Werner Schulz gestern mit seiner Rede „verbrochen“ hat, das war Volkes Stimme. So ähnlich wie er werden sehr viele in der Bevölkerung gedacht haben, völlig unabhängig von der jeweiligen politischen Ausrichtung.
Ich halte die Rede von Herr Schulz für den einzigen Lichtschein in dem gestrigen finsteren Verließ der parlamentarischen Demokratie. Bemerkenswert, wie unsicher, ob von Politikern oder so genannten Experten, mit der Schulz-Rede umgegangen wurde. Schulz hat den Finger in die verfassungsrechtliche und moralische Wunde gelegt und ihn unerbittlich darin gedreht, bis es mehr als nur weh tat.
KLAUS ZINNER, Bochum
Da tritt einer vor, der seine politischen Gehversuche in der DDR gestartet hat und aus seinem Selbstverständnis heraus so aufrecht wie möglich gegangen ist und sich quer gelegt hat. Dies zu einer Zeit und an einem Ort, in dem ein Querlegen deutlich ungemütlicher und unkomfortabler war als heute.
Und nun gibt er auch noch eine persönliche Erklärung im Bundestag ab und erlaubt sich, die Inszenierung des Misstrauensvotums mit Abläufen in der Volkskammer der DDR zu vergleichen – und gleich hagelt es Proteste, besonders aus seiner Partei, den Grünen. Ob dieser Vergleich jetzt glücklich gewählt war oder nicht, er war als Ausdruck eines tiefen Unbehagens über die Verlogenheit und Unehrlichkeit der Handelnden gemeint. Dafür sei Herrn Schulz Anerkennung gezollt.
Besonders die Aufregung aus den eigenen Reihen sieht doch stark danach aus, dass getroffene Hunde bellen. Offensichtlich sitzt gerade bei den Grünen das Unbehagen tief, und dass einer den Mut hat, derart deutlich zu reden, muss das Unbehagen verstärken.
Recht so, denn die Regierung Schröder ist gescheitert an der Unfähigkeit, das Volk mitzunehmen, die Lasten gerecht zu verteilen und auf die Stimmung in den eigenen Parteien zu hören, besonders in der SPD. Schröder hätte zurücktreten müssen und einem Neubeginn auch seiner Partei die Chance eröffnen müssen. Nur dann gäbe es eine klitzekleine Chance auf ein anständiges Wahlergebnis.
THOMAS PALM, Hanau
betr.: „Flucht vor der Verantwortung. Gegenrede: Werner Schulz (Grüne) spricht zur Vertrauensfrage“, taz vom 2. 7. 05
Gut, dass ihr das abgedruckt habt. Der Volkskammerteil hätte aber nicht so gekürzt werden müssen. So schrecklich und falsch war er nicht. Aber auf ihn stürzten sich natürlich dann alle, damit man über den Rest nicht nachdenken muss. „Red Herring“ nennen die Amis so was. Trittin beispielsweise meinte, dieser Satz habe alles andere von Schulz Gesagte ungültig gemacht. Unlogisch, aber wirkungsvoll.
Tatsache ist: Es hätte eine legale Alternative zur Vertrauensfrage gegeben. Aber für den Missbrauch der Vertrauensfrage musste der Bundestag wichtige Gesetzgebungsverfahren vertagen, damit der anscheinend nicht für besonders schlau gehaltene Hotte auch ja nix merkt vom Vertrauen, das Schröder von Rot-Grün hat, und das ihm Münte seitens der SPD noch vor der Vertrauensfrage für alle hörbar bestätigte. Das ist – Tschuldigung – eine dreiste Verarschung des Bundespräsidenten und der Verfassung, und alle spielen mit. Werner Schulz steht im Aus genau deswegen, weil er Recht hat. Es sollte irgendeine Möglichkeit geben, ihn wählen zu können.
GÖTZ KLUGE, Eching
Die Redaktion behält sich Abdruck und Kürzen von LeserInnenbriefen vor.Die veröffentlichten Briefe geben nicht unbedingt die Meinung der taz wieder.