piwik no script img

Archiv-Artikel

Aus für Brot und Nudeln

Zöliakie oder Gluten-Empfindlichkeit erfordert die konsequente Vermeidung von Weizen und anderem Getreide. Was das für den Alltag der Patienten bedeutet, soll der in Hamburg stattfindende fünfte Welt-Zöliakie-Tag aufzeigen

Die Krankheit ist unspektakulär, aber mühsam für die Betroffenen. Wer nicht betroffen ist, weiß meist wenig darüber. Dem ist vielleicht nicht einmal bewusst, dass die Vokabel „Gluten“ auf der letzten Silbe betont wird und mit der Aschen-Glut etymologisch nichts zu tun hat. Ungefähr jeder Hundertste leidet unter Zöliakie oder Sprue, wie die Unverträglichkeit von Klebereiweiß beziehungsweise Gluten wissenschaftlich heißt. Eine durch Vererbung, ein geschwächtes Immunsystem oder Umwelteinflüsse ausgelöste Krankheit, die im Kindes- oder Erwachsenenalter ausbrechen kann. Warum, wissen die Forscher bis heute nicht genau.

Fakt ist, dass die Autoimmunkrankheit – eine Art Allergie – die Darmzotten zerstört, die für die Aufnahme und effektive Verwertung von Nährstoffen aller Art verantwortlich sind. Sie flachen ab und sind so – wie ein abgestumpftes Zahnrad – nicht mehr fähig, vorbeikommende Nährstoffe aufzunehmen und weiterzuverarbeiten.

Gewichtsabnahme, Anämie, Rachitis, Depressionen sind – neben Durchfall und dem manchmal auftretenden Blähbauch – markante Symptome bei Zöliakie. Einzige Therapie: lebenslange glutenfreie Ernähung, der konsequente Verzicht auf Weizen, Dinkel, Roggen, Hafer, Gerste, Grünkern. Aus ist es also mit Brot, Nudeln, Pizza, Kuchen, Bier, eventuell auch Fertiggerichten, Pommes Frites, Eis, Chips und Schokolade. In all diesen Produkten kann Gluten enthalten sein. Erlaubt sind Gemüse, Fleisch, Fisch, Früchte und Milch.

Ein an sich recht gesunder Speiseplan, stellte sich nicht das Problem, dass nicht alle Hersteller Weizen-Anteile in ihren Produkten anzeigen. Denn die Kennzeichnungspflicht für Gluten gilt erst seit November 2005. Alle zuvor hergestellten Lebensmittel dürfen „abverkauft“ werden; das betrifft insbesondere Konserven.

Bleibt also – falls die Unverträglichkeit stark und der glutenfreie Einkauf lebenswichtig ist – nur die von der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft regelmäßig neu herausgegebene Liste aktuell glutenfreier Hersteller und ihrer Produkte. Die wechseln häufig; veraltete Listen nützen daher nicht viel. Die jeweils aktuelle Variante aber bekommt nur, wer zahlendes Mitglied in der Deutschen Zöliakie-Gesellschaft ist. Soziale oder humanitäre Kriterien gelten nicht. Die Krankenkassen erstatten den Mitgliedsbeitrag nicht und bieten auch keine vergleichbar exakten Listen glutenfreier Lebensmittel an.

Doch nicht jeder Patient leidet unter der ausgeprägtesten Form der Zöliakie. Und mit einer leichten Gluten-Unverträglichkeit lässt sich etwas freier leben – mit der konsequenten Abstinenz etwa in Bezug auf Brot und Nudeln. Billig ist das allerdings nicht: Das in Bioladen oder Reformhaus zu erwerbende glutenfreie Brot schmeckt nicht nur mäßig; es ist auch teuer. Diese Kosten trägt der Patient. Denn die gesetzlichen Krankenkassen dürfen die Kosten für Spezial-Lebensmittel nicht übernehmen, da es sich um eine „Auslass“-Diät handelt, bei der bestimmte Nahrungsmittel zu meiden sind.

Um das Ungenießbarkeitsproblem zu lindern, kooperieren manche Bioläden mit Bäckereien, die in mehlfreien Backstuben glutenfreies Brot herstellen. Das ist ein klein wenig schmackhafter. Einmal pro Woche kann man sich das holen; auch diese Variante ist nicht billig.

Trotzdem: Zöliakie ist, verglichen mit anderen Erkrankungen und Allergien, keine dramatische Krankheit. Sie bezieht sich nur leider auf das Grundnahrungsmittel Brot, so dass sie immer im Bewusstsein bleibt.

ANNA MÜLLER

Info: www.dzg-online.de, www.zoeliakie-treff.de Am heutigen Sonnabend veranstaltet die Dachorganisation der Europäischen Zöliakie-Gesellschaft, die AOECS, in Hamburg den fünften Welt-Zöliakie-Tag. Start ist um elf Uhr mit einem Marsch in orangefarbenen Zöliakie-Tag-T-Shirts. Nächste Stationen sind Gänsemarkt und Heiligengeistfeld, wo sich Hersteller diätischer Lebensmittel präsentieren. Außerdem gibt es Spiele und Kunstaktionen für Erwachsene und Kinder.