: Aus der Seele sprechen lassen
■ Wim Wenders über seinen wunderbaren Film „Am Ende der Gewalt“und über die Angst beim Einschlafen
Ganz oft! - Diese herrliche Verzahnung verschiedener Welten: ein traumhafter Reisekatalogblick auf die kalifornische Küste, geworfen von einem palast-dekadenten Anwesen aus; im Garten statt eines Liege-Relax-Stuhls eine Art streßverheißende Kommandobrücke, bestückt mit den Kommunikationswaffen Handy und Laptop; aus dem Off erzählt der Film-Produzent Mike Max ganz wenders-sentimental, wie seine Grundangst zum Leben erweckt wurde, – arg altmodisch in einem schundigen Fischerdorf-Kino. „Da spricht mir Mike Max aus der Seele, genauer, ich habe ihn mir aus der Seele sprechen lassen.“
Seine kinoinduzierte Angst transformiert Max in eigene Thriller, höchst erfolgreich. Diese wiederum motivierten einen Polizisten einst zur Wahl seines Berufs. Wenders neuer Wieder-mal-Kino-im-Kino-Film „Am Ende der Gewalt“spinnt also ein dichtes Kausalnetz zwischen Gewalt und Ordnungsmacht, Fiktion und Wirklichkeit. „Oft hat die Angst im Leben überhaupt keine reale Grundlage. Fälle, in denen sie gespeist wird aus Assoziationen an angstbesetzte Filmszenen, zum Beispiel dem Parkhaus. Beim Schlendern durch ein dunkles Parkhaus ist man stets in der heimlichen Begleitung von einer ganzen Meute fürchterlicher Filmsequenzen.“Auch ein starker Mann? „Au ja! ... Im Alter von sieben Jahren schleifte mich meine Oma zum allerersten Mal ins Kino. Eigentlich sollte es Dick & Doof sein. Doch man verguckte sich und landete in einem Horrorfilm. Schon nach drei Minuten flüchteten wir – und dennoch konnte ich meine ganze Kindheit hindurch, immerhin etwa zehn Jahre lang, nicht ohne Licht einschlafen“Kein Bruder im Zimmer? „Doch, aber der war sechs Jahre jünger. Ich habe übrigens nie herausgefunden, wie dieser Film hieß. Den Namen ,Nacht der reitenden Leichen' hätte er sich aber redlich verdient.
Wenders Film widmet sich nicht nur den neuen Kommunikationsmedien im privaten Bereich, sondern auch deren großem Bruder, der Überwachungstechnologie von staatlicher Seite. Max gerät in die üblichen undurchsichtigen Fall-stricke übler FBI-Schergen und verheddert sich in einer richtig saftigen Hollywoodgeschichte mit diversen Toten und rotierenden Konstellationen von Liebespaaren. Das Timing aber, geprägt von vielen Großaufnahmen, poetischen Bildern, harschen Schnitten, ist „europäisch“. „Es ging weniger um eine Geschichte, sondern um ein Lebensgefühl. Der Film zeigt eine Menge Menschen, die nichts miteinander zutun haben. Erst am Schluß merken sie, daß sie in ein- und derselben Geschichte stecken.“Der Film ist kein direkter Protest gegen den deutschen Lauschangriff. „Am Anfang war nicht ein Thema, am Anfang war der Ort! L.A.! Eine Art Experimentalstadt, in der neue Phänomene auftauchen, erprobt werden – und anschließend nicht mehr zurückzunehmen sind. Zum Beispiel Privatleben als videoüberwachte Festung. Überall Fernsehkameras. Die Stadt schiebt dieses Thema vor sich her. Überhaupt: Themen wachsen aus den Orten hervor. Aus dem Klima einer Stadt entstehen die Personen, und erst aus ihnen leiten sich die diversen Geschichten und Subgeschichten ab.“
Der Überwacher im Film überwacht aber nicht nur. Er ist auch Voyeur, zoomt sich in die Wohnungen weinender Frauen und die Augen vor sich hinträumender Junkies vor und kommt gerade mit seinen grobkörnigen Bildern fremden Menschen unheimlich nahe. „Er droht sich zu verlieren, muß sich regelrecht zusammenreißen und um die Disziplin des sachdienlich-neutralen Blicks ringen.“
Wenders selbst trägt meist ein Handy bei sich. Das Internet wirkt auf ihn „wie –ne Droge. Schon irgendwie verrückt: man trifft sich mit Leuten, die man nicht kennt. Und mit der eigenen Frau oder Freundin kann man vielleicht kaum mehr sprechen.“Und noch immer peilen Wenders Augen am Interviewpartner vorbei. Nähe nicht gefragt. Auftauen tut er erst im Kino-saal der Schauburg vor Hunderten von anonymen Fans. „ Nur gut, daß ich kaum Zeit fürs Surfen habe.“
Filmfigur Mike Max widerfährt eine Saulus-Paulus-Wandlung. „Er sucht sie sich nicht aus: Er nimmt sie dann aber an.“Aus dem vom Erfolg besessenen und geknechteten Filmverwalter, wird ein bedürfnisloser, im Augenblick – zum Beispiel eines Corona-Biers – lebender Mensch. Ein fremdes Gewehr am Kopf, und das auch noch zehn Minuten lang, ist der Auslöser. Gewalt zum Guten. „Den utopischen Sprung zeigt der Film aber nicht. Den muß sich der Zuschauer selber zusammenreimen. Da sagt die Leinwand nur: 'Vier Wochen später'.“Gibt es die drastische Verwandlung auch im Leben des Wim Wenders? „Manchmal. Ein bißchen. Courage ist allerdings dafür notwendig. Wichtig ist mir deshalb einer der Schlußsätze: Es ist gar nicht einmal so sehr schwierig die Zustände zu ändern, sondern sich selbst.“
Von Ry Cooder sind diesmal unerwartet technoide Trance-Klänge zu hören. „Normalerweise rückt er mit seiner Gitarre an und einem alten Röhrenverstärker. Doch ich wollte einen urbanen und zeitgenössischen Sound. Gott sei Dank hat Ry einen Sohn. Der ist 18 Jahre alt, Schlagzeuger und kennt alle Finessen zwischen loops und sampling.“
Bis in den Sountrack setzt sich also der Essay über Technik und Gewalt fort. Barbara Kern
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