: Aus der Anstalt in die Anstalt
■ Bremer Psychiatrie-Reform zurück zur Langzeit-Verwahrung / Morgen offizieller Psychiatrie-Tag
„Enthospitalisierung“ war die Zauberformel, die die bremische Psychiatrie-Reform über die Jahre begleitete und bestimmte. „Langzeit-Psychiatrie ist seelische Mißhandlung“
-in diesem Sinne war das Land Bremen zu Beginn der achtziger Jahre daran gegangen, augenblickliche und künftige Patienten gemeindenah und überwiegend ambulant versorgen zu wollen. Im finanziellen Rahmen eines Bundesmodellversuchs wurde als Kernstück das Kloster Blankenburg, Außenstelle des Zentralkrankenhauses Bremen-Ost, aufgelöst. Blankenburg galt als Inbegriff der seelenlosen Verwahranstalt - bei den Reformern.
Wenn die Gesundheitssenatorin Rüdiger am Freitag der versammelten Presseöffentlichkeit die Erfolge der Bremer Psychia
trie-Reform präsentiert, dann wird viel von der Blankenburg -Auflösung und den neuen Vorzeige-Einrichtungen der freien Träger die Rede sein. Eine „keimfreie Jubelveranstaltung“ befürchtet dagegen die Deutsche Gesellschaft für Soziale Psychiatrie (DGSP). In einer Presseerklärung stellt sie fest, „daß die Psychiatriereform durch politischen Opportunismus von ihren ursprünglichen Zielen, die auf breitem Konsens beruhten, entfernt worden ist und daß sie im Kern bereits zu dem Zeitpunkt gescheitert war, als die Regierung sich entschlossen hatte, die Mehrzahl der Patienten der Klinik Kloster Blankenburg in neue Heime von Wohlfahrtskonzernen zu verlegen.“
Kritiker der Reform-Praxis bemängeln vor allem die Trennung
der ehemaligen Blankenburg Patienten in psychiatrische Fälle und Geistig-Behinderte. Dies sei, so Klaus Pramann und Peter Jäkel von der „Initiative“ nur mit dem Kalkül der behördlichen Planung zu verstehen, „nach Jahren der Langzeitunterbringung spielt die ursprüngliche Diagnose keine Rolle mehr, entscheidend ist die Hospitalisierung.“
So sei für die Geistig-Behinderten, für die auch außerhalb des Modellprogrammes Geld für Wohnungen vorhanden gewesen sei, die finanziellen Ressourcen des Modells verwendet worden - für die Psychiatrie-Patienten sei dagegen bis heute immer noch kein langfristiges Enthospitalisierungs-Konzept vorgelegt worden.
Dem Leiter der Psychiatrie am Krankenhaus Bremen-Ost, Peter Kruckenberg, stimmen sie zwar bei seinen Vorstellungen über eine gemeindenahe Versorgungseinrichtung zu, werfen ihm aber „Zentralismus“ und Inhaltslosigkeit vor. „Kruckenberg will die Enthospitalisierung im Hospital“ sagt Peter Jäkel und weist auf eine, wie er meint, aberwitzige Entwicklung hin.
Die Bremer Heimstiftung plant im Auftrag des Sozialressorts den Bau eines altenpsychiatrischen Großheimes, genannt „Fichtenhof“, mit 120 Plätzen in Bremen-Nord. Dorthin sollen diejenigen Langzeit-Psychiatrie-Patienten verlegt werden, die derzeit in Bremen-Ost mehr schlecht als recht untergebracht sind und nach Auskunft einiger Beschäftigter „nur stören“.
Statt dem konsequenten Abbau der Langzeit-Betten werden die Patienten nur wieder verschoben, in ein neues Blankenburg wie Klaus Pramann befürchtet. Auch die DGSP äußert sich in diese Richtung: „Der Plan verrät die bekannte Methode, wehrlos psychisch Kranke, in diesem Falle alte Menschen, am Rande der Ge
sellschaft isolierend zu behandeln. Und wieder soll dies Vorhaben mit Modellgeldern aus Bonn finanziert werden.“
„Vor zehn Jahren“, sagt Klaus Pramann, „hatten noch viele Lust an der Umsetzung der Psychiatriereform. Heute hat dies nur noch die Leitung.“ Kuppenberg attestiert er einen „gelungenen Verdrängungsprozess“. Der habe nicht mitbekommen, „daß diese Reform überhaupt keine Inhalte mehr hat, die von den Mitarbeitern getragen werden.“
Andreas Hoetzel
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