: Aus den Geheimplänen der Stasi gegen die Opposition
■ Die Staatssicherheit versorgte die SED im Oktober 1989 mit Strategien gegen Opposition und Kirche / Egon Krenz gab die Mielke-Papiere ans Politbüro weiter
Die Rezepte sollten Wunder wirken. „Maßnahmen zur Verhinderung der weiteren Formierung und zur Zurückdrängung anti-sozialistischer Sammlungsbewegungen“ hatten die SED -Sicherheitsstrategen, der Stasi-Chef Mielke, Innenminister und Polizeichef Friedrich Dickel, der Krenz-Nachfolger für Sicherheitsfragen im ZK, Wolfgang Herger, und dessen Abteilungsleiter Klaus Sorgenicht hoffnungsvoll formuliert. 14 Maßnahmen, in einer Beschlußvorlage dem Politbüro unterbreitet, sollten die SED wieder in die Offensive führen. „Nach gründlicher Prüfung“
Nutzbare Ideen der„antisozialistischen Sammlungsbewegungen“ sollten vereinnahmt werden und deren Zurückdrängen mit „differenziert ordnungsrechtlichen Mitteln“ erfolgen. Zum Beispiel auch so: „Antisozialistischen Sammlungsbewegungen ist bei Anträgen auf die Durchführung von Veranstaltungen im Freien (einschließlich Demonstrationen) bzw. bei der Anmeldung von Veranstaltungen in Räumen nach gründlicher Prüfung die Erlaubnis bzw. die Durchführung zu versagen“. Die 1.Sekretäre der Bezirks- und Kreisleitungen, der Genosse Dickel und die Vorsitzenden der Räte und Bezirke wurden dafür verantwortlich gemacht. Zwar sollte ein Dialog geführt werden, aber nur so, daß daraus keine „Anerkennung des NEUEN FORUMS oder anderer antisozialistischer Sammlungsbewegungen abgeleitet werden kann“. Prinzipiell sei deren Anerkennung zu verweigern: „Anträge antisozialistischer Sammlungsbewegungen auf Bestätigung der Anmeldung zur Gründung einer Vereinigung sind nach gründlicher Prüfung zu versagen“, heißt es im Text, verantwortlich sei der Minister des Innern und Chef der Deutschen Volkspolizei. „Konzeptionelle Überlegungen sind für den möglichen Fall zu erarbeiten, daß „Neues Forum“ mit einer veränderten Plattform - auf der Grundlage der Verfassung - einen neuen Antrag auf Zulassung stellt“, heißt es ergänzend.
In der „persönlichen Verschlußsache“, vom 23.Oktober datiert, wird das NEUE FORUM als „gegenwärtig größte Gefahr“ beschrieben. Führende Vertreter des NEUEN FORUM versuchten den Eindruck zu erwecken, Interessenvertreter des Volkes zu sein. Die neuen Bewegungen hätten die „Wirkung der Hetz- und Verleumdungsklagen des Gegners ausnutzend“ ihre bisherige Isolation durchbrochen. Noch sei der Einbruch in die Arbeiterklasse und unter die Genossenschaftsbauern nicht gelungen, es gäbe aber wachsenden Einfluß auf Intelligenz, Kulturschaffende, Studenten, Jugendliche sowie „Mitglieder befreundeter Parteien und Personen im kirchlichen Bereich“. Im DEMOKRATISCHEN AUFBRUCH wären sogar „reaktionäre kirchliche Kräfte“ aktiv, es fallen die Namen Eppelmann, Richter und Schorlemmer. Dem „Bürger Böhme“ als Geschäftsführer der SDP sei „mündlich“ mitzuteilen, daß die Gründungshandlung rückgängig zu machen sei und weitere Gründungshandlungen bei Strafe verboten sind (siehe nebenstehenden Text). Strafrechtliche Maßnahmen seien „aufgrund ihrer politischen Massenwirksamkeit“ zwischen Innenminister und Staatssicherheit, Generalstaatsanwalt und Politbüro abzustimmen.
„Möglicher Autor: Erich Hahn“
Die ideologische Offensive wurde Kurt Hager als Leiter einer Arbeitsgruppe übertragen. Als Sofortmaßnahme sei ein „grundsätzlicher Artikel im „NEUEN DEUTSCHLAND“ über die Konzeption des „Neuen Forums und unseren marxistischen Positionen dazu zu veröffentlichen“. Die Staatssicherheit weiß auch gleich, welcher Soziologe da dienlich sein könnte: „Möglicher Autor - Erich Hahn“.
Der Artikel blieb aus, die Wirkung der Patentrezepte auch. Dabei wurden die 1.Sekretäre der Kreisleitungen mit ganz einfachen Aufgaben betraut: sie sollten Genossen verstärkt in Betriebe und Wohngebiete schicken, als Bereiche, „die Schwerpunkt des bisherigen Wirkens des NEUEN FORUMS bilden“.
Unangenehmer wurde die Aufgabe für Willi Stoph und Kurt Löffler, den damaligen SED-Staatssekretär für Kirchenfragen. Sie sollten dem Mißbrauch der Kirchen für politische Maßnahmen entgegenwirken. Immerhin: „Polizeiliche Spezialtechnik und -ausrüstung“ sollte nur dann eingesetzt werden, wenn eine unmittelbare Gefährdung von Personen und Sachen nicht anders abzuwenden wäre.
Ein wenig hatten die Sicherheitsexperten aus dem 7.Oktober gelernt. Landesweit waren 1551 Demonstranten unsanft zugeführt worden, 600 allein in Berlin. Diese Zahlen lagen am Morgen danach bereits auf Erich Honeckers Tisch. Berlins Untersuchungsausschuß, der - nach wie vor abgeblockt konnte bisher erst 165 Festnahmen erfassen. In irgendeinem Safe müssen auch Wortprotokolle von Honecker liegen, der Genosse Mielke hat ihn - wie alle anderen Politbüromitglieder - nämlich belauscht. Mittels Wanzen, die an den Stromkreis seiner Wandlitzer Alarmanlage angeschlossen waren.
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