: Aus dem Körper emigrieren
■ Transsexualität überwindet nicht den Geschlechterdualismus
Daß mit dem Geschlecht ein „Geschlechtsschicksal“ verbunden sein soll, müßte sich im Zeitalter modernisierter Geschlechterangleichung und der Angebote seitens der Reproduktionstechnologie als interessegeleiteter Anachronismus erledigt haben; daß allerdings der Körper das Geschlecht „bedeutet“ in dem Sinne, daß wir nicht einfach aus unseren (Geschlechts-)Körpern emigrieren können, scheint unhintergehbar. Glücklich also „wir Normalen“. Problematischer ist das für jene Zeitgenossen, die zwar in einem weiblich oder männlich identifizierbaren Körper gefangen sind, sich aber dem jeweils anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Transsexualität ist in unserer Kultur die „medikalisierte Form des Geschlechtswechsels“, und sie wirkt auf „uns“ deshalb so irritierend, weil die selbstverständlich vorausgesetzte Übereinstimmung von Körpergestalt und Leibgefühl durchbrochen wird.
Vor diesem politischen Hintergrund einer unüberwindbar geltenden binären Geschlechterkultur ist Gesa Lindemanns Studie zur „Transsexualität zwischen Körper, Leib und Gefühl“ angesiedelt. Das umfangreiche Interviewmaterial, das als Datenbasis dient, hat die Berliner Soziologin in ihrer langjährigen Beratungstätigkeit von transsexuellen Frauen und Männern gesammelt und in einen theoretischen Zusammenhang gebracht, dessen problematische dualistische Anordnung sich bereits im genannten Untertitel andeutet. Lindemann geht es nämlich weder um subjektive Motivforschung unter Transsexuellen noch darum, zu zeigen, wie Transsexualität als soziale Struktur hervorgebracht wird, sondern sie bemüht sich, die Leiberfahrung von Transsexuellen in ihrer Wechselwirkung mit deren Umwelt zu erfassen.
Damit wendet sie sich explizit und kritisch gegen jene Annahmen in der Soziologie, die davon ausgehen, daß „Geschlecht“ eine nur hervorgebrachte und jeweils im symbolischen Prozeß immer wieder neu herzustellende Wirklichkeit ist. Dagegen setzt Lindemann „Leiblichkeit und Affektivität“ als „soziologische Basiskategorien“. Theoretisch knüpft die Untersuchung an Plessners Begriff der „exzentrischen Positionalität“ an, derzufolge der Mensch einerseits aus der Mitte seines Leibes heraus reagiert, aber gleichzeitig auch eine Position „hinter“ dem Leib einnimmt und damit von außen auf sich selbst blickt: Der Mensch ist sein Leib und hat seinen Körper, so die einprägsame Formel, die gleichzeitig den ganzen Ballast des Leib-Körper-Dualismus der Phänomenologie mit sich schleppt.
Lindemann versucht die theoretische Falle zu umgehen, indem sie die „Verschränkung von Körper und Leib“ annonciert, den „körperlichen Leib“, der zwar im Hier und Jetzt zuständlich, aber gleichzeitig relativ erfahren wird. Wie sich ein Frau-zu-Mann-Transsexueller fühlt, hängt davon ab, wie weitgehend er das Gefühl für den eigenen (weiblichen) Leib – indem er beispielsweise das Wippen des Busens verhindert – zurückdrängen kann. Wenn er dagegen menstruiert, dann ist es schwieriger für ihn. Im letzteren Fall programmiert der Körper das Leibgefühl.
Eben diese „Zumutung“ des geschlechtlich signifikanten Körpers weisen Transsexuelle zurück. Der erste Akt der transsexuellen Revolte besteht in der „Derealisierung“ des Ausgangsgeschlechts durch Kleidung und Habitus. Indem eine Differenz zwischen sichtbarem Geschlechtskörper und „Ich“ postuliert wird, begeben sich transsexuelle Männer und Frauen in eine „reflexive Distanz“, deren schmerzhafteste Folge die Scham ist, wenn das ursprüngliche Geschlecht von anderen „entdeckt“ wird.
Der Körper, der das Geschlecht bedeutet, läßt sich nicht einfach in einem voluntaristischen Akt „überlisten“, aber der Akt der „Selbsterkenntnis“, also die Entdeckung des neuen Geschlechts, ist die unverzichtbare Voraussetzung für den tatsächlichen Geschlechtswechsel. „Der Betreffende“, so ein Gutachter, „muß das gewünschte Geschlecht selber durchgesetzt haben, bevor man mit medizinischen Mitteln nachkorrigiert.“
Erst wenn das neue „Ich“ konstituiert ist, entlasten Operationen und Hormonbehandlungen von der „leiblichen Dissonanz“ (Lindemann). Mit der irreversiblen Körperveränderung muß sich der/ die Transsexuelle indes auch eine neue Personalität aufbauen, die darin besteht, die Vergangenheit im ursprünglichen Geschlecht zu liquidieren. Das Paradox, so Lindemann, bestehe darin, daß die Veränderung gar nicht stattgefunden haben dürfe, wenn sie wirksam werden solle.
Stärker als „normale“ Männer und Frauen werden Transsexuelle von ihrer Umwelt auf geschlechtliche „Eindeutigkeit“ verpflichtet, das heißt, sie sind gezwungen, ihr Geschlecht „auszustellen“. Dabei gefährdet eine transsexuelle Frau, wie die Studie einleuchtend belegt, ihre neue sexuelle Identität durch ein „männliches“ Verhalten eher als ein transsexueller Mann, um so überraschender, als man gemeinhin das Umgekehrte annähme.
An dieser Bruchstelle – den bisher in der Transsexuellen-Forschung vernachlässigten Differenzen zwischen transsexuellen Männern und Frauen bei der Konstitution der neuen geschlechtlichen Identität – wird Lindemanns Studie auch unter feministischem Gesichtspunkt interessant. Ihr Material präsentiert nämlich eine auffällige Asymmetrie der für das Geschlecht signifikanten Körperteile: Während der Penis in der ausschließenden Struktur von „Haben“ und „Nichthaben“ stark symbolisch dominiert, identifiziert die Vagina nicht in gleichem Maße das Geschlecht, sondern ist in einem „Kontinuum von vollständig bis nichtvollständig verschiebbar“.
Transsexuelle Frauen sind viel mehr darauf angewiesen, ihr Geschlecht zu präsentieren. „Frausein ist weniger etwas, worauf man bestehen kann, sondern das man für sich nur ist, wenn man es für andere ist.“ Eine wesentliche Voraussetzung für den „gelungenen“ Geschlechterwechsel ist die Notwendigkeit, „ich“ sagen zu können, eine mit dem Mannsein durchaus korrelierende Erwartungshaltung. Die Personalität von Frauen dagegen ist gebrochener, und gerade in dieser asymmetrischen Struktur offenbart sich nicht die Ungleichheit von irgendwie geschlechtsspezifischen „Substanzen“, sondern von „Oppositionsrelationen, in denen Mann- und Frausein aufeinander bezogen sind“.
Die Ausgangsfrage nach der die Kultur der Zweigeschlechtlichkeit „destabilisierenden“ Rolle der Transsexualität beurteilt Lindemann deshalb skeptisch. Nicht nur wird der „schicksalhafte“ Körper der Transsexuellen eben nur durch einen geschlechtlich bestimmten (neuen) Körper überwunden, sondern es zeichnet sich auch ab, daß das diese Kultur dominierende „Körperzeichen“, der Phallus, den „Geschlechtswechsel“ nicht nur unbeschadet übersteht, sondern seine umfassende Gültigkeit erneut manifestiert: Transsexualität als eine den Geschlechterdualismus überwindende Hoffnungsträgerin ist damit obsolet geworden. Ulrike Baureithel
Gesa Lindemann: „Das paradoxe Geschlecht. Transsexualität im Spannungsfeld von Körper, Leib und Gefühl“. Fischer TB, Frankfurt 1993, 301 S. 18,90 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen