: Aus Glas wird Gold
Eine standesmäßig organisierte Branche ■ Mit der Optiker-Kalkulation auf Du und Du
Der Optikerladen ist wie eine Goldmine: Profitträchtig, aber mit erschwertem Zugang. Mittelalterliche Traditionen bestimmen noch das Geschäft.
Die Vereinbarung zwischen Krankenkassen und Augenoptiker -Innungen legt fest, daß pro Brillenladen ein Augenoptikermeister vorhanden sein muß. Dadurch ist die Zahl der Läden zwangsläufig begrenzt. Sie wuchs zwar von knapp 3.000 Anfang der 70er Jahre auf heute 7.500. Doch der Trend des übrigen Einzelhandels, Filialketten zu installieren, wird durch die MeisterInnen-Pflicht sehr erschwert.
Und da greift Schutzwall Nummer zwei: Die Sozialisation im OptikerInnenhandwerk. Seit dem Mittelalter in lokalen Innungen organisiert, saugt der - meist männliche - Meister Selbstwertgefühl aus dem eigenen Laden, der Innung, einem guten Verhältnis zur Industrie und einem hohen lokalen Sozialprestige (Honoratioren). In diesem Umfeld (Rotary -Club, Golf, Tennis...) bedeutet es schon eine Abwertung, als Meister abhängig beschäftigt zu sein. Und schon ein einzelner Laden bietet großartige Gewinnmöglichkeiten.
Nach einer Brillenmarkt-Studie sieht die typische Brillenkalkulation so aus: Für eine normale Kassenbrille werden 100 Mark kassiert (20 bis 40 Mark für die Fassung, 60 bis 80 Mark für die Gläser). Die Einkaufspreise für die Fassung (sieben bis 16 Mark) und die Gläser (14 bis 20 Mark) betragen aber nur 20 bis 30 Prozent des Verkaufpreises. Schon bei dem durchschnittlichen Branchenumsatz pro Laden von gut 500.000 Mark kann die ChefIn bei etwas Geschick im Umgang mit dem Finanzamt 150.000 bis 200.000 Mark jährlich absahnen.
Die schier unglaublichen Gewinnspannen werden von den industriellen Glas- und Gestellieferanten abgesichert. Mit strengen Kontrollen durch Innung und Lieferanten wurde bis zum Auftreten von Fielmann und Apollo-Optik (Quelle-Konzern) jeder Preiswettbewerb verhindert. Die Sanktionen reichten vom bösen Anruf durch den Innungsobermeister bis zum Stopp der Belieferung durch die Industrie. Doch die innereuropäische Harmonisierung könnte auf mittlere Sicht finanzstarken Konzernen den Einmarsch in die deutsche Brillenwelt erlauben. Dafür könnte der postmoderne Trend zur Brille für jede Gelegenheit den Brillenmarkt erheblich ausweiten. Aus dem Nasenfahrrad wird zunehmend ein prestigeträchtiger Konsumartikel. Bislang hat jede BrillenträgerIn nur statistische 2,6 Brillen zu Hause.
Florian Marten
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