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Augenblicke des Glücks zu Hauff

Das Glücks-Motto des 16. Filmfests München will eine Hommage an die leisen Töne im Film sein. Die kompakte Mischung aus Mainstrem, Independent, TV-Movies und jungen deutschen Produktionen hat sich bewährt  ■ Von Anatol Weber

Augenblicke des Glücks bieten sich den deutschen Fußballfans bis jetzt nicht eben zuhauf, dafür aber dem Kinofan auf dem Münchner Filmfest und dem Festivalleiter Eberhard Hauff. Zum 16. Mal jährt sich das Aufbegehren gegen das cineastische Sommerloch mit der Mischung aus Mainstream, Independent, Retrospektive, TV- Movies und jungen deutschen Produktionen.

Die sollten im Mittelpunkt stehen, als damals Schlöndorff, Hembus, Patalas, Hauff und einige andere von einem Forum zum Sehen und Kommunizieren träumten. So wurde diskutiert, verworfen und sogar ein Testballon nach Hamburg geschickt. Doch trotz der guten Küche der Frau des damaligen OBs Hans-Ulrich Klose ging es zurück nach München. Und trotz heftiger Gegenwehr von seiner Seite wurde mit Eberhard Hauff an der Spitze das Abenteuer gewagt. Schnell war auch klar, daß der deutsche Film allein kein Festival tragen kann. So entwickelte sich eine Struktur, die noch heute transparent ist, und selbst die anfangs heftig kritisierte Sektion der TV-Movies ist jetzt anerkannt.

Als Totengräber des Kinos wurde Hauff bezeichnet, dabei wollte er damals nur einen Film von John Cassavates nach München holen, und den gab es nur auf Video. (Im Festival lief der Film dann doch auf 35 Millimeter und wurde so ein einziges Mal im Kinoformat vorgeführt). Vor einem ganz anderen Problem steht der Festivalleiter jedes Jahr: Wären weniger Filme nicht mehr für den Film? Hätte er dem einen oder anderen Freund, Kollegen, Regisseur oder Verleiher nicht doch absagen sollen? Ist „Nein“ wirklich ein Fremdwort in seinem Vokabular? Eine Frage, die sich auch dieses Jahr mit „Nein“ beantworten läßt.

Wer das Publikum sucht, muß Kontroverses anbieten; wer sich den Luxus leistet, ein Festival mit seinen eigenen Vorlieben zu prägen, muß zu Fehltritten stehen. Jede Woche starten in den Kinos schlechte und erschreckend unnötige Filme, und wie viele gute Filme werden nur Festivalbesucher jemals auf der Leinwand sehen? Auch dieses Jahr bietet sich wieder ein breites Spektrum aus Spannendem, Trivialem, und seien wir daher sommerlich freundlich gestimmt. Neben den obligatorischen Cannes-Nachspielen (in diesem Jahr etwa Ken Loach, DeOliviera und Chéreau) sowie den obligatorischen Hollywoodgrößen (Robert Redfords Pferdeflüsterer oder „Gattaca“ mit den frisch vermählten Ethan Hawke und Uma Thurman) stehen vor allem die Independents und der deutsche Film im Blickpunkt.

Auf 80.000 Mark erhöhte die Hypo-Bank ihren Regieförderpreis, sieben Beiträge sind in der Konkurrenz. „Cascadeur – Die Jagd nach dem Bernsteinzimmer“, der Debütfilm des Stuntman Hardy Martins, hatte am meisten unter seiner eigenen Überheblichkeit zu leiden und erfreute eher die Party- als die Kinogäste. „Operation Noah“, der andere Actionfilm à la Hollywood, hielt zumindest, was er versprach, was für Rene Heisigs „Pauls Reise“ leider nur im Negativen zutrifft: Peter Lohmeyer in einer zähen Vater-Sohn- Tristesse, die uns weiterhin das uninspirierte Autorenkino vergangener Tage vor Augen führt. Viel interessanter und mutiger und deshalb schon erwähnenswert ist die DFFB-Abschlußarbeit des Iren Eoin Moore, „Plus Minus Null“, die auch dem größten Wunsch von Eberhard Hauff nach Eigenständigkeit und Visionen sehr nahe kommt. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen, wo doch der Geschmack des Festivalleiters meist keinen Verleih findet.

Ein Schicksal, das auch den Independent-Filmen droht. Neben den in diesem Jahr stark vertretenen britischen Indies sind es vor allem zwei US-Produktionen, die viel Aufmerksamkeit erlangten. Harmony Korines „Gummo“ ist der voyeuristische Blick auf eine Ansammlung von Freaks in Xenia, Ohio, die ihre Zeit mit Katzentöten, Sniffen und Saufen verbringen, und spricht in erster Linie Zuschauer an, die das dreckige Leben nur aus TV-Reportagen und der Zeitung kennen. Ganz anders das Highlight des Festivals: „Buffalo 66“, das Regiedebüt von Schauspieler und Frauenschwarm Vincent Gallo. Die Geschichte des Full-time-Loosers Billy Brown, der am Ende doch das Glück findet, ist so herzerfrischend naiv und kraftvoll inszeniert und dazu voller filmischer Auflösungen, die etlichen Hochschulabsolventen den Angstschweiß auf die Stirn treiben werden. Darüber hinaus ist er mit Christina Ricci, Anjelica Houston, Ben Gazzarra und Gollo selbst genial besetzt. Es ist einer dieser Filme, die Hunger machen, weil ihnen Konventionen gleichgültig sind und sie voll Phantasie ihrer ganz eigenen Obsession folgen.

Auch Eberhard Hauff wird weiter seiner Vision folgen, das Festival noch kommunikativer und diskussionsfreudiger zu gestalten. Noch zwei Tage wird er von Gast zu Gast, von Kino zu Kino rennen, sprechen, anregen, zuhören und Brücken schlagen zwischen den Arrivierten, den hungrigen Jungen und den Filmhochschülern. Dafür, daß er sein Baby eigentlich gar nicht wollte, ist er ein ziemlich toller Vater.

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