: Augen aus Kiel
■ Bremen leistet sich als einziges Bundesland ein hochmoralisches Leichengesetz - Wenn die Hornhäute knapp werden, kauft die Augenklinik eben anderswo ein
Bremen ist ausnahmsweise mal fein raus: Fast hundert deutsche Krankenhäuser sollen Leichenteile ihrer verstorbenen PatientInnen verkauft haben, oft sogar ohne Wissen der Angehörigen (siehe taz vom 25.2., Seite 1). Gegen einige Pathologen ermittelt bereits die Staatsanwaltschaft, weil sie gegen hausinterne Vorschriften verstoßen haben sollen, wonach der Handel mit Leichenteilen verboten ist.
Bremen aber steht nicht auf der Liste. Während es kein bundesweit geltendes eindeutiges Gesetz über Leichenteile gibt, hat Bremen seit einem Jahr eines: Danach müssen die Angehörigen auch vor der Entnahme von kleinen Leichenteilen ausdrücklich gefragt werden. Bremen steht damit im Kreis der Bundesländer als moralischer Musterschüler da.
Nur: Wenn das Bremer Gesetz so strikt ist, woher bekommt dann zum Beispiel die Augenklinik der St.Jürgen-Straße frische Augenhornhäute? Die sind nämlich durch künstliche Hornhäute schlecht zu ersetzen und werden gebraucht für Unfallopfer oder Menschen, bei denen sich die Hornhaut plötzlich ablöst. Wenn man die Angehörigen direkt fragt, geben nur die wenigsten die Zustimmung zu einer Organentnahme.
Wir fragten Prof. Dr. Hanns Gunschera, den ärztlichen Direktor des Zentralkrankenhauses St.-Jürgen-Straße.
Woher bekommen Sie heute Augenhornhäute zum Beispiel für Unfallopfer?
Hanns Gunschera:Die Genehmigungspflicht ist natürlich eine Hürde. Deswegen werden zusätzliche Hornhäute gekauft von anderen pathologischen Instituten von außerhalb, zum Beispiel von Kiel. Die müssen auch durch Sektion mit ausdrücklicher Genehmigung gewonnen worden sein.
Heißt das, daß in Kiel die Angehörigen von Verstorbenen freigiebiger sind?
Nein. Die Kontrolle der dortigen Institute unterliegt natürlich nicht Bremen, sondern den dortigen Gesundheitsinstitutionen. Aber wir gehen davon aus, daß die die gleichen Auflagen haben.
Aber Bremen hat doch bekanntermaßen als einziges Bundesland solch ein Leichengesetz, anderso ist die Entnahme von Leichenteilen wenn überhaupt dann nur klinikintern eingeschränkt...
Ja, aber die haben auch Auflagen. In Bremen ist das strikter. Wie strikt die Regelung in Kiel ist, kann ich nicht beurteilen. Aber aus Übersee kaufen wir nicht ein, also von irgendwo, wo man das nicht überblicken kann. Da ist das Risiko für uns zu groß.
Was kostet denn so eine Hornhaut?
Das weiß ich nicht, das weiß die Verwaltung. Das Problem für uns Ärzte ist ja eher, daß wir sagen, wir brauchen das, die Verwaltung kann dann sagen, das ist uns zu teuer. Aber das ist hier noch kein Problem gewesen.
Wieviel Hornhäute braucht die Bremer Augenklinik pro Jahr?
1992 sind 125 Hornhäute transplantiert worden.
Und, gingen manche PatientInnen leer aus?
Hornhäute sind knapp, man muß sich sehr bemühen, ausreichend Hornhäute zu bekommen, aber es ist noch kein Patient abgewiesen worden, weil wir keine Hornhaut bekommen hätten. Es ist besprochen worden mit Professor Demeler (Leiter der Augenklinik, d.Red.), daß er ein bestimmtes Kontingent hatte, und als er sagte, er habe Schwierigkeiten, hat die Direktion entschieden, daß es diese Schwierigkeiten nicht geben darf.
Wenn nicht genügend Hornhäute zur Verfügung stehen, dann ist sozusagen das Krankenhaus frei, von außen einzukaufen, damit eine Transplantation auf keinen Fall daran scheitert, daß Hornhäute nicht vorhanden waren.
Fragen: Christine Holch
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