: Aug um Aug im Performance-Wigwam
■ Felix Ruckerts intime Tanz-Performance „Hautnah“ auf Kampnagel
Eine Bar, das Licht ist gedämpft, die Beschallung schummerig. Es wird gepeilt nach jemandem, den man eine Weile ganz für sich alleine haben möchte, für zehn Minuten, eine halbe Stunde vielleicht, um sich später dann für irgend jemand anderen zu entscheiden und das Begegnungsritual mit dem Unbekannten von neuem beginnen zu lassen. Ein blind date mit einem Körper, den man sich vorher aus einer Plakatgalerie ausgewählt hat. Irgendwann tritt der Wunschkandidat auf einen zu, man verhandelt den Preis, wird sich einig, zahlt und zieht sich zu zweit in ein Séparée zurück. Und dann beginnt der Auserwählte, für seinen Kunden zu tanzen, und nicht nur die Bewegungen des Tänzers, die ohne jede Begleitmusik auskommen, sondern das Zuschauen selbst wird zum Bestandteil einer ungewöhnlichen Performance.
Mit Hautnah hat der Berliner Choreograph Felix Ruckert, der Tanz in Berlin, Essen, schließlich in Paris und New York studiert hat und von 1992 bis 1994 zu Pina Bauschs Ensemble gehörte, ein abenteuerliches Projekt realisiert. Nach dreiwöchiger Probezeit konturierten sich in Gruppen- und Einzelimprovisationen eine Choreographie aus feststehenden Soli heraus, die im letzen Jahr im Dock 11, Prenzlauer Berg, Premiere feierte. Ab dem 2. November präsentiert Ruckert seine Performance mit fünf Hamburger und fünf internationalen Tänzern und Tänzerinnen auf Kampnagel.
Das Hautnah-Projekt bricht mit dem theatralen Prinzip, das den Zuschauersaal immer mit einer, wenn auch transparenten vierten Wand vom Bühnengeschehen separiert. Statt Theatersaal mit Stuhlreihen in sicherer Entfernung nun also kleine Kabinen als Performace-Wigwams, in denen der Zuschauer als Einzel-Kunde mit dem Unerwarteten bedient wird. Neben dem programmäßig mehr oder weniger feststehenden Ablauf sind auch Interaktionen geplant. Und keiner der zahlenden Kundschaft kann sich sicher sein, ob er mit der nächsten Geste zum Boxkampf oder zum Duett aufgefordert wird.
Eines will Hautnah auf jeden Fall nicht sein, ein Aufguß des schauerlichen Mitmachtheaters der 70er Jahre. Es geht immer noch um das Konsumieren von Dargebotenem, auch wenn jedes Hüsteln oder Kichern das Spiel beeinflussen, jeder Blick auf den Künstlern unausweichlich erwidert werden kann. Daß hier das Thema fehlender Finanzen programmbildend wirkt, wie manche vermuten, ist eine allzu kühne These, eher unterstreicht die Einzelbehandlung der Kundschaft den Luxuscharakter dieser Performance: der Tänzer als Kunstware in einem Minimaltheater.
Birgit Glombitza ab Montag, 2. November auf Kampnagel, weitere Vorstellungen vom 5. bis 10., 12. bis 17., 19. bis zum 24. November, jeweils von 20 bis 24 Uhr, k4.
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