Die Vorschau: Aufstieg über die Hintertreppe
■ Kein Treppenwitz: Karl-Heinz Schmid referiert heute im Kino 46 über die Bedeutung der Treppe im Kino
Aids im Film. Crossdressing im Film. Männerfreundschaft im Film. Landstraßen im Film. Wenn diese klassisch-antiken Seminarthemen eine Art Wiener Schnitzel-Abspeisung für Cineastenhirne sind, dann müßte ihnen (den Hirnen) das Forschungsfeld „Treppen im Film“wie ein zartes Fasanenbrüstchen munden. Diese schöne fleischige Metapher ist in unserem Kontext besonders bekömmlich, weil Kino-46-Mann Karl-Heinz Schmid ausgerechnet von einem Cineasten in Burkina FASO zu seinem grandios-obskuren Thema animiert wurde. Nicht, daß Schmid leibhaftig in Burkina Faso Kinotreppenanlagen oder Cineasten untersucht hätte. Vielmehr berichtete die Süddeutsche Zeitung vor vielen Jahren mal von einem Filmgespräch im Goethe-Institut von Burkina Faso über ?, genau über unseren innig verehrten Fassbinder. Dabei soll ein Burkina Fasanite seine geballte Sensibilität auf die Treppen der Petra von Kant, Maria Braun und Lili Marleen gelenkt haben. Das ist nun nicht weiter schwer zu kapieren. Schließlich sticht die Treppe einem geübten Flachhausbewohner ganz naturgemäß als bemerkenswertes Luxusgut ins Auge. Dankbar für diesen erhellenden Blick von außen auf die eigene Kultur, schenkte auch Karl-Heinz Schmid fürderhin der Celluloid-Treppe sein Augenmerk. Und siehe da: Die Treppe unterteilt nicht nur Ober- und Untergeschoß, sondern auch unterschiedliche soziale Schichten bzw. öffentliche und private Sphäre. Schließlich bleibt dem Film mit seinem Primat des Optischen auch gar nichts anderes übrig, als gesellschaftliche Prozesse in räumliche Situationen zu transformieren. Und was wäre da geeigneter als das Verbindungselement Treppe. In Gangsterfilmen eröffnet sie, die Treppe, im letzten Moment Fluchtmöglichkeiten, die dann am Dach grausam enden. In Seelendramen symbolisiert sie gleich von Anfang an den Abgrund. Ein unbeabsichtigter Fehltritt, ein dezentes Schubsen und der Genickbruch ist nicht mehr aufzuhalten. In guten, alten Revuefilmen dagegen ist die Treppe der ideale Ort zur hochhackigen Selbstpräsentation. Und in Horrorfilmen droht von unten und oben das ungeahnte Grauen. Keine Schritte hallen furchterregender als die direkt über dem eigenen Kopf. Eisenstein veranschaulicht in seinem Panzerkreuzer gar acht Minuten lang den Druck der Verhältnisse – nach unten – anhand der legendären Leningrader Treppenszene. Auch Schmid veranschaulicht etwas: Daß man auf Schleichwegen und Hintertreppen schneller zu interessanten Einblicken gelangt als beim Durchnudeln von Standardthemen. bk
Kino 46, 20.30 Uhr. Vortrag mit vielen Filmbeispielen
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