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Aufstand im Zwergenland

■ Baubehörde startet Fragebogenaktion bei KleingärtnerInnen im Waller Fleet / Mitarbeiter stehen vor verschlossenen Türen und einer aufgebrachten Menge

„Warnung vor dem Hund“ – Klaus Sagebiel, Mitarbeiter von Bausenator Schulte, steht mutig vor dem knallroten Schild an der Gartenpforte im Chrysanthemenweg 8. Entschlossen drückt er auf die Klingel. Nichts rührt sich. Dafür ist hinter ihm auf dem staubigen Sandweg die Hölle los: Erboste Kleingärtner schimpfen, was das Zeug hält. „Wir wollen keine Kleingartenzorros hier“, schallt es dem schwarz gekleideten Sagebiel entgegen. Denn die Baubehörde will Parzelle für Parzelle nach illegalen Bewohnern und Bauwerken durchkämmen und klopfte heute bei der ersten Kleingärtnerin an – weit kam sie: Die Frau ist in Urlaub gefahren.

Im Chrysanthemenweg sollte Schultes kleiner Lauschangriff starten. Mit Fragebogen, Meßlatte und aufmerksamen Augen sollte die Bremische Gesellschaft im Auftrag der Baubehörde hier die ersten Parzellen unter die Lupe nehmen. Denn Schulte will das Fleetgebiet mit rund tausend Parzellen sanieren: illegales Wohnen und Bauen soll künftig nicht mehr möglich sein. Acht Kleingärtner schrieb die Bremische jetzt zwecks Termin an: Doch nur eine sagte zu. Gestern stand Sagebiel fassungslos vor verschlossener Tür und hinter ihm hundert aufgebrachte Parzellisten.

Bedrohlich schwenkten sie ihre Plakate: „Wir boykottieren die Bereinigung“, „Wir bleiben hier“. Ihre Angst vor Zwangsräumungen und der Abrißbirne sitzt tief. Vor allem die Kaisenbewohner, die in Walle nach dem Krieg ein neues Zuhause fanden, erleben jetzt ein zweites „Vertreibungstrauma“. Ohne nachzudenken schimpften sie laut auf Sagebiel ein. „Wir haben Bremen aufgebaut, und jetzt sollen wir vertrieben werden“, schreit ein hagerer Mann. Doch der Behördenvertreter wehrt nur müde ab: Die Kaisenbewohner dürften wohnen bleiben, die Baubehörde will nur illegales Wohnen verbieten. „Niemand soll hier vertrieben werden“, versucht er zu beschwichtigen: Für soziale Notfälle stehe Ersatzwohnraum bereit. Doch mit dem illegalen Wohnen und Bauen müsse endlich Schluß sein. „Sonst brennt's irgendwo und wir kriegen den Ärger“, ruft Sagebiel in die aufgebrachte Menge. Martina Meyerdierks von der Bürgerinitiative „Gartenwohnkultur“ kann über solche Argumente nur leise lachen: „Wir sind doch keine Brandstifter und vor allem keine gefährlichen Besetzer“, wehrt die 32jährige ab. Seit 13 Jahren wohnt sie mit ihrer Familie hier und fordert: „Das Wohnen muß hier endlich legalisiert werden.“

Klaus Dieter Randecker ist stinksauer, sein Gesicht läuft puterrot an. „Schaut euch den tollen Macker an. Dreißig Jahre lang hat die Baubehörde uns hier geduldet, und jetzt soll hier alles abgerissen werden“, schreit der 47jährige im blau-roten Trainingsanzug. Mit seiner Frau hat er sich 1947 ein altes Parzellenhaus gekauft. Das müsse er nun abreißen und dafür satte 30.000 Mark auf den Tisch legen. Damals habe die Baubehörde ihm noch versprochen: Wenn du eine ordentliche Güllegrube baust, darfst du hier wohnen bleiben. Und jetzt soll damit auf einmal Schluß sein. Randecker schüttelt kräftig mit dem Kopf, „die wollen hier doch nur ein Gewerbegebiet draus machen“ und läßt eine weitere Schimpfkanonade Richtung Sagebiel ab: „Ihr habt doch nur Stroh im Kopp“. Für Sagebiel ist mittlerweile das Maß voll. Der Behördenmensch verliert nun vollends die Fassung und verläßt das sinkende Schiff, denn „persönlich beschimpfen lasse ich mich nicht.“ Angestrengt kämpft er sich durch die erboste Menge und braust schließlich mit dem Auto davon. „Die Befragungen werden wie geplant weiter gehen“, kündigt er an. Die Bürgerinitiativen wollen sich nicht geschlagen geben. „Wir kommen wieder, keine Frage“, verspricht Martina Meyerdierks von der Bürgerinitiative „Gartenwohnkultur“. Und Walter Polz von der „Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner und Gartengrundstückseigentümer“ fügt hinzu: „Das Spielchen ist noch nicht zu Ende.“ kat

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