: Aufruhr in der Schwulenszene
Harte Kontroverse um provokante Thesen des schwulen Filmemachers Rosa von Praunheim / Sozialwissenschaftler Martin Dannecker: Haltlose Äußerungen sind Ausdruck einer persönlichen Krise / Die Aids-Hilfen und Schwulengruppen boykottieren Praunheims Filmstart ■ Von Manfred Kriener
Berlin (taz) - Die provozierenden Äußerungen des schwulen Filmemachers Rosa von Praunheim im 'Spiegel‘ und gestern in der taz haben einen Aufschrei in der schwulen Community und heftige Proteste ausgelöst. Zur Aufführung des neuen Praunheim-Films Feuer unterm Arsch, der in Köln und Berlin anläuft, verteilte die Deutsche Aids-Hilfe gemeinsam mit einer Reihe von Schwulen- und Positiven-Organisationen ein Flugblatt, in dem Praunheim ungewöhnlich scharf als „Verräter“ und als „schizophren“ kritisiert wird. Auch sein Künstlername wird Praunheim aberkannt.
Die Aids-Hilfe redet ihn ausschließlich mit seinem bürgerlichen Namen Holger Mischwitzky an. Praunheim habe mit seinen Äußerungen den Aids-Hilfen „mörderische Untätigkeit vorgeworfen“ und „die schwule Szene als faschistischen Männerbund“ verleumdet, schrieb die Aids-Hilfe als Begründung für ihre Flugblattaktion. Praunheim habe schon vor Jahren jeden Kontakt zur schwulen Szene und „jeden Bezug zum Alltag der getesteten und ungetesteten Menschen in der Aids-Krise verloren“.
Im 'Spiegel‘ hatte Praunheim unter dem Titel Bumsen unterm Safer-Sex-Plakat die neue „Partystimmung in der Szene“ attackiert, Safer Sex sei out. Mitarbeiter der Aids -Hilfe bezeichnete er als heterosexuelle Beamte, die vor allem „die Verwaltung verwalten“. Der Deutschen Aids-Hilfe warf er vor, daß sie Wirte ermuntere „ihren Orgienkeller wieder aufzumachen“. Sein Text gipfelt in der Überlegung, daß es „vielleicht besser wäre, wir hätten mehr Gauweiler und weniger Süssmuth gehabt“. Im gestrigen taz-Interview setzte der Filmemacher noch eins drauf: Dem Frankfurter Sexualwissenschaftler Martin Dannecker und dem Berliner Autor Matthias Frings wirft er vor, sie würden die freie Sexualität höher ansiedeln als die Aids-Prävention und mit ihrer Haltung „Mithilfe zu Mord und zum Totschlag leisten“.
Die Deutsche Aids-Hilfe, der Krankenpflegeverein HIV e.V., die Arbeitsgemeinschaft Berliner Positive und eine Reihe weiterer Organisationen haben ihre Teilnahme am Start des neuen Praunheim-Films abgesagt und zum Boykott von Praunheims Veranstaltungen aufgerufen. Wer aus Publicitygründen die schwer errungene Solidarität der Schwulen zerstören wolle, könne kein Gesprächspartner mehr sein, sagte Wolfram Schweizer von der Berliner Aids-Hilfe.
Relativ gelassen reagierte Martin Dannecker auf die Praunheim-Äußerungen. Sein wütendes Lamento sei nichts anderes als eine sehr persönliche Reaktion auf die Angst und Bedrohung durch die Aids-Krise, sagte Dannecker auf Anfrage der taz. In dieser großen Angst sehne sich Praunheim nach einem starken Mann, der ihm genaue Vorschriften macht, damit er gerettet werden kann. Praunheims Artikel sei „ein Prosagedicht, und als solches akzeptiere ich es auch“. Der Filmemacher spreche nicht über die Realität, sondern über seine eigene Befindlichkeit. Die schamlosen Übertreibungen und haltlosen Vorwürfe seien Ausdruck der großen persönlichen Krise von Praunheim und der großen Aids-Krise überhaupt. Danecker: „Ich habe keine Haß auf ihn.“ Der Sexualwissenschaftler hatte es zuvor abgelehnt, das Flugblatt der Aids-Hilfen gegen Praunheim mitzuunterzeichnen.
In der bundesweiten Schwulen-Zeitschrift 'magnus‘ war Praunheim schon vor Erscheinen seines 'Spiegel'-Beitrags massiv kritisiert werden. Unter der Überschrift „Persona non grata“ wird ihm vor allem vorgeworfen, sich als Sprecher in der Schwulen aufzuspielen. Die Demontage Praunheims als schwule Leitfigur stehe „auf der Tagesordnung“. In dem gesamten Text wird Praunheim ausschließlich in der weiblichen Form angeredet, eine typische Denunziation unter Schwulen.
Innerhalb der Schwulen-Community ist Praunheim bislang isoliert. Beifall bekam er nur vom 'Spiegel‘, der ihm für seine Thesen vergnügt drei Seiten freimachte. Siehe Dokumentation auf Seite 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen