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Archiv-Artikel

Aufregen bringt Segen

Verwirrung im päpstlichen Ufficio: Tedeskische Studenten wollen Beistand für Kollegen

Neutrale Allerweltssegen gab’s ab zwanzig Euro, Spezialsegen kosteten das Doppelte

Tief in den Wäldern Germaniens war die Zeit der Prüfungen gekommen. An dunklen Universitäten mit lateinischen Namen zitterten die Kandidaten vor gräulichen Exerzitien, so auch ein Prüfling, der vor Angst fast verging. Drei Mitscholaren beschlossen, ihm zu helfen, und überquerten die Alpen, um den Segen des Papstes für den Verlorenen zu erbitten.

Die Schweizer Gardisten senkten bedrohlich ihre Spieße, als die drei sich einem vatikanischen Verwaltungsgebäude näherten. Demütig erläuterte die Rädelsführerin, dass man ins „Ufficio di benedizioni“ wolle – ins „Büro der Segen“!

Der kleine Raum wimmelte von Einheimischen, denn der Papst half gern, gegen bare Münze, wo er konnte. Die Wände hingen voller Mustersegen, allerprächtigsten Urkunden mit roten und schwarzen Schönschrifteinlagen sowie dem Bildnis Sr. Heiligkeit. Darunter standen in profaner Druckschrift die zu entrichtenden Oboli. Neutrale Allerweltssegen gab’s ab zwanzig Euro. Spezialsegen kosteten das Doppelte. Im Hintergrund trugen Mönche Bündel von Formularen ins Scriptorium, wo Gänsekiele eifrig über das Papier flogen, um Namen und Zwecke schönzuschreiben.

Man habe Glück, flötete die Ordensschwester an der Auftragsannahme, denn der Segnungstermin stehe noch aus, und wenn man sich etwas beeile, ginge der zu erwerbende Segen noch heute mit. Dann wurde die fromme Seele kalt und fragte, welchem Erzbistum das zu segnende Schaf angehöre und welcher Hirt für es zuständig sei. Auch verlangte sie die amtlichen Dokumente, die man beibringen müsse, bevor man überhaupt ans Segnen denken könne.

Ihre Miene vereiste vollends, als die Anführerin der drei zu erklären begann, dass man beabsichtige, einen Segen „per uno studente tedesco“ zu erwerben, für einen deutschen Hochschüler, der eine wichtige Prüfung, „un esame importante“, zu bestehen habe, was ihm ohne „benedizione papale“ ganz unmöglich wäre. Leider habe man, da man ihn überraschen wolle, hierüber keine kirchlichen Dokumente – doch sei der Kandidat sehr, sehr gläubig! „Nemmeno per sogno!“, stieß die unnahbar Gewordene aus. Undenkbar, selbst im Traum! Sondersegen gebe es nur für Hochzeit, Geburt, Taufe oder Kommunion.

Die drei beratschlagten auf Tedeskisch, was nun zu tun sei. Die Anführerin verdeckte die wunden Punkte durch Wortreichtum, während die Mitläufer begleitend zu seufzen anfingen.

Er, um dessentwillen man sogar die Alpen überquert habe, sei ja so gläubig! Die Prüfung wäre doch entscheidend für sein Christenleben, ein Scheitern seiner gläubigen Seele verderblich; Abtrünnigkeit könne daraus hervorgehen, ja, der Unglückliche sich bei ausbleibendem Segen gar todbringendes Leid zufügen!

In Fahrt geredet, zog die Anführerin der drei die letzten Register und begann nun zu quengeln und zu drohen, als die Segensverweigerin hart blieb. Was denn das für eine unchristliche Untat sei, hilfsbedürftige Schafe im Sumpf des Elends verschmachten zu lassen? Wenn der Heilige Vater wüsste, dass man hier seinen Segen einer wahrhaft gläubigen, verlorenen Seele verweigere.

Die Augen aller Anwesenden waren auf die Klageführerin gerichtet. Kreuze wurden geschlagen. Man erwartete die Nennung des Antichristen. Den Mönchen in der Schreibstube stockte die Tinte, die Nonne war leichenblass geworden und beriet sich mit einem der Patres. Schließlich bewilligte man die Anfertigung eines profanen Allroundsegens und verlangte auch nur den regulären Preis dafür. Abholung morgen. „Roma locuta, causa finita!“ Rom hat gesprochen, der Fall ist erledigt! Die drei feierten ihren Sieg bei viel vino.

Morgens war der Segen nicht hinterlegt. Die eingewechselte Nonne am Schalter wusste scheinbar von nichts. Der Abholschein wurde wieder ungläubig beäugt. Ratlosigkeit herrschte. Als die Situation zu eskalieren drohte, huschte ein Schreiber heran und brachte eine Urkunde. Die Tinte war noch derart frisch, dass eine unbedachte Bewegung sie leicht verwischte. Sah so ein am Vortag gesegneter Segen aus? War er eben eiligst nachgesegnet worden? Wurden die Allerweltssegen auf blanko gesegneten Papieren ausgestellt? So mischte sich ins finale Glück der drei ein leiser Zweifel: Hatte man ihnen einen falschen Segen angedreht? Waren sie als lästige, wahrscheinlich protestantische Störenfriede mit einem wert- und nutzlosen, unheiligen Stückchen Papier abgefertigt worden? Nie wird man es ergründen.

Der Prüfling vertraute dem scheinheiligen Fetzen wie ein Ertrinkender dem Strohhalm, den man ihm reicht. Er bestand die Prüfung mit Bravour. Wie denn auch anders – hilft der wahre Glaube doch selbst Papierberge an Orte zu versetzen, an denen der greise Handlanger Gottes sie zu segnen vermag. TOM WOLF