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Aufklärung übers Antörnende

■ „Drogen und Drogenpolitik: ein Handbuch“

Auf exakt fünfhundert ausgezeichneten Seiten gibt der von Sebastian Scheerer und Irmgard Vogt unter Mitarbeit von Henner Hess herausgegebene Band genau und, wichtig bei der Diskussion über Drogen, mit dem Bemühen um größte Objektivität Auskunft über die unterschiedlichen Aspekte der Drogenpolitik. Unter sechs Themenschwerpunkten (1. Drogen und Drogenpolitik, 2. Die Alltagsdrogen, 3. Die medizinischen Drogen, 4. Die Drogen der Szene, 5. Selbsthilfe, 6. Der illegale Drogenhandel) wird in fünfzehn Kapiteln in einer auch für den interessierten Laien verständlichen Sprache über die pharmakologischen und psycho -sozialen Aspekte der einzelnen Drogen und des Drogengebrauchs, die Geschichte des Drogenkonsums, der Drogenepidemien und der Prohibition, sowie über die wirtschaftliche Dimensionen des Drogenhandelns informiert. Die beiden nach Sachthemen beziehungsweise nach den Namen von Drogen und Wirkstoffen geordneten Register ermöglichen ein leichtes Auffinden der gewünschten Informationen in den einzelnen Artikeln, die in sich geschlossen sind und den Leser am Schluß auf eine Fülle von aktueller weiterführender Literatur hinweisen.

Interessant und aufschlußreich für die Bewertung des Handbuches ist die Lektüre des ersten, von Scheerer und Vogt selbstverfaßten Kapitels. Auf diesen fünfzig Seiten zeigen sie die Komplexität moderner Drogenpolitik auf und warnen vor der Möglichkeit, Drogenpolitik für politische Zielsetzungen zu instrumentalisieren. Sie weisen besonders auf den Verzicht vieler offizieller Abkommen und Gesetzestexte hin, den Begriff „Droge“ genau zu definieren, um ihn dann „nach der jeweiligen Interessenlage auszurichten“. Die Autoren arbeiten im folgenden anhand historischer Beispiele die möglichen Mechanismen einer Verzahnung von Drogenpolitik und anderen politischen Bereichen heraus, ein Prozeß, so Scheerer/Vogt, der „machtpolitische Bedeutung gewinnen kann“.

Das Handbuch tritt der von ihm am Umgang mit Drogen kritisierten bewußten begrifflichen Schwammigkeit entgegen und sagt ganz klar, was es unter Drogen versteht. „Drogen sind in diesem Sinne alle Stoffe, Mittel, Substanzen, die aufgrund ihrer chemischen Natur Strukturen oder Funktionen im lebenden Organismus verändern, wobei sich diese Veränderungen insbesondere in den Sinnesempfindungen, in der Stimmungslage, im Bewußtsein oder in anderen psychischen Bereichen oder im Verhalten bemerkbar machen.“ Folgerichtig geht es in dem Handbuch auch oder gerade um die sogannnten „Alltagsdrogen“ wie Alkohol, Tabak und Arzneimittel, die, das leugnen inzwischen auch konservative US-Politiker nicht mehr, jedes Jahr ein hundertfaches mehr an direkten Todesopfern fordern als die sogenannten „illegalen“ Drogen, die bei Scheerer/Vogt, der objektiven Zielsetzung des Handbuches entsprechend, als „Drogen der Szene“ nicht vorab mit einem negativen Attribut belegt werden. Denn daß ihre Illegalität oft aus politischen Macht- und Ränkespielen statt aus einer gesundheits- oder sozialpolitischen Notwendigkeit erwuchs, dokumentieren zum Beispiel die Handbuchartikel über Opiate, Kokain oder Cannabis.

Die sehr vorsichtige und politisch relativ neutrale Besetzung von Begriffen wie „Drogen“ oder „Sucht“ öffnet dem Buch nicht nur die Möglichkeit zu einer objektiven und gerade deswegen äußerst kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Vielmehr gelingt es ihm immer wieder, den einzelnen Artikeln neben der sachlichen Information einen fragenden Charakter zu geben und den Leser nicht nur konsumieren zu lassen, sondern ihn mit den vielen Widersprüchen und paradoxen Sachverhalten seiner und der traditionellen gesellschaftlichen Betrachtung von Drogen und Drogenpolitik zu konfrontieren. Zu kritisieren bleibt einzig die sehr geringe Berücksichtigung des Themenfeldes Therapie/Prävention, das, selbst auch Gegenstand der drogenpolitischen Kontroverse, dem Leser zwar an einzenen Stellen des Textes begegnet, aber nur in dem von dem Drogenbeauftragten des Hamburger Senats, Horst Bossong, mitverfaßten Kapitel über „Selbsthilfe“ speziell berücksichtigt wird.

Ralf Beke-Bramkamp

Sebastian Scheerer und Irmgard Vogt (Hg.), unter Mitarbeit von Henner Hess: Drogen und Drogenpolitik: Ein Handbuch, Frankfurt/Main und New York, Campus Verlag, 500 S., 178 DM.

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