: „Aufhebung des Ausnahmezustandes“
Gespräch mit Klaus Jünschke nach seiner Entlassung / Ein Signal wäre die Entlassung von Irmgard Möller ■ I N T E R V I E W
taz: Der rheinland-pfälzische Justizminister hat deine Freilassung als Signal an die RAF bezeichnet. Glaubst du, daß das dort so verstanden wird?
Klaus Jünschke: Nein. Für mich selbst ist es zwar eine schöne Sache, das endlich hinter mir zu haben. Aber das irgendjemand das als Signal verstehen könnte, halte ich für ausgeschlossen.
Ich finde es im Gegenteil obszön, so viel Aufmerksamkeit zu erfahren. Ich bin jetzt frei, aber es gibt im linken, autonomen Spektrum Gefangene, die die Aufmerksamkeit verdienten, wie z.B. Manfred Grashof, der noch keinen Entlassungstermin hat und das wahrscheinlich deshalb, weil er es aus persönlichen Gründen für besser hält, sich erst nach der Entlassung öffentlich zu äußern. Noch wichtiger ist Irmgard Möller. Sie ist seit 16 Jahren in Einzel- und Kleingruppenisolation, und es gibt mit Sicherheit keine Frau, die in der Bundesrepublik im Gefängnis das durchzumachen hatte, was sie durchmacht. Das wird einfach in der ganzen Diskussion ausgeklammert, verschwiegen. Wenn man also wirklich Signale setzen will, dann sollte man sie und die Stockholmer (gemeint sind die noch vier lebenden RAF -Mitglieder, die 1975 die deutsche Botschaft in Stockholm besetzt hatten, d. Red.) freilassen.
Warum nun werden diese im Gegensatz zu dir nicht freigelassen?
Der Kommentar in den Nachrichtensendungen war ja immer wieder, Klaus Jünschke hat sich deutlich vom Terrorismus usw. losgesagt, und die anderen Gefangenen haben sich an der Diskussion, die draußen läuft, öffentlich nicht beteiligt. Und das ja auch mit einer gewissen Berechtigung, weil der, der in einer so ausgeprägten Extremsituation ist wie sie, mit dieser 13, 16 Jahre langen Isolation, der kann doch nicht unter solchen Bedingungen irgendwelchen staatlichen oder sonstigen Aufrufen zu diskutieren folgen. Was unbedingt notwendig ist, ist eine radikale Veränderung dieser Situation, die Aufhebung des Ausnahmezustandes und die Entlassung.
Bei den Stockholmern ist doch klar, daß die niemals in den Knast gekommen wären, wenn dieser Staat nicht die Isolationshaft auf Jahre in einer Weise verhängt hätte, daß Gefangene in Lebensgefahr geraten wären. Damals ist Holger Meins während des dritten Hungerstreiks gegen die Isolationshaft gestorben, und daraufhin haben sechs relativ junge Leute aus dem Stand heraus die deutsche Botschaft in Stockholm besetzt. Da kann doch kein Politiker die Verantwortung abstreiten. Das hätte es ohne die Isolationshaft niemals gegeben. Deswegen haben alle, die heute noch sitzen und in der Folge der Isolationshaft zur RAF gekommen sind, einen Anspruch darauf, freigelassen zu werden.
Wie soll das durchgesetzt werden?
Es ist nicht meine Aufgabe, Empfehlungen abzugeben, wie man das und jenes machen sollte. Aber die Freilassung dieser Gefangenen muß zum Thema gemacht werden.
Was mir darüber hinaus wichtig ist, ist auch, was ich im normalen Knast erfahren habe. Ich habe 16 Jahre hinter mir, und das ist ja sehr viel. Aber im Durchschnitt bedeutet in der BRD lebenslänglich 19 bis 20 Jahre.
Kommen wir noch einmal auf die vom Staat genannten Gründe deiner Begnadigung. Justizminister Caesar zählt dazu auch, daß du dich zu einem „engagierten Kämpfer gegen den Terrorismus“ gewandelt hättest.
Das ist so ein Spruch, mit dem man mich verkauft, so wie als geheilt entlassen. Was ich mache, ist natürlich der Verantwortung gerecht zu werden, die ich habe.
Welche Verantwortung?
Mich haben Leute besucht im Knast, die heute auf Fahndungsplakaten sind. Und ich habe in meiner Situation, wie alle Gefangenen, „macht was, macht was“, vermittelt.
Unabhängig davon sind solche Aussagen wie die von Caesar dazu geeignet, die ganze Last der Verantwortung dieser Geschichte auf die Leute zu legen, die gesucht werden oder in Haft sind. Das ist eine Verkehrung der Kräfteverhältnisse.
Eines ist klar, ich hätte gerne, daß sich die RAF auflöst. Aber ich sehe keine Möglichkeit, daß dadurch zu erreichen, daß man die Leute, die sich zur RAF zählen, bekämpft. Ich sehe da nur die Möglichkeit, daß man ihnen auch gerecht wird. Das sind doch nicht die totalen Unmenschen geworden. Das heißt, man muß sie politisch kritisieren, das ist gar keine Frage. Aber man muß dafür kämpfen und auch in einer gewissen Weise mit ihnen, daß die Haftbedingungen, die Isolationshaft, geächtet werden. Man muß dafür sorgen, daß die Terrorismusbekämpfer in der Bundesrepublik wieder von der Bühne verschwinden, daß heißt dieser ganze Sicherheitsapparat, diese Gesetze bis runter zum Paragraphen 129 a gegen Flugblattverteiler.
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