■ Serie Denk-Mal: Das Gedächtnis des Ortes, Teil 12: Aufgetischt – Aus den Memoiren einer Relikwie
In meinem Leben bin ich immer das gewesen, was man bodenständig nennt. Ich stand sozusagen wie eine Eiche. Das Schicksal hat es gewollt, daß sich im Laufe der Jahre wichtige Persönlichkeiten um mich versammelten, und so habe ich mich nach reiflicher Überlegung entschlossen, Ihnen aufzutischen, was sich mir als Erinnerung in jede Kerbe geprägt hat. Meine Art zu schreiben ist etwas hölzern. Auch bitte ich die LeserInnen, diesen Text nicht als historische Quelle im strengen Sinne zu betrachten. Es sind Erinnerungsfetzen, Beobachtungen, Bemerkungen.
Mein wahres Leben begann 1969 mit der Beobachtung der Erregungszustände des revolutionären Subjekts. Dazu gaben mir die Genossen Ströbele, Mahler, Eschen und Preuß vom „Sozialistischen Anwaltskollektiv“ in Berlin reichlich Gelegenheit. Auf meinem Rücken entwarfen sie Prozeßstrategien für all die Apo- Aktivisten, die mal wieder das Prinzip „Aufklärung und Aktion“ geprobt hatten und dabei in die Fänge der Klassenjustiz geraten waren. Doch schon bald behaupteten die Genossen, daß ich der Dialektik von Eigenvolumen und zur Verfügung stehendem Raum nicht gewachsen wäre. Das hat mich auf meiner vollen Länge von fünfeinhalb Metern getroffen.
Ich wurde an die Kommune 1 gereicht. Hier, dachte ich, wäre ich die Basis im Kampf gegen die anachronistische Moral der Herrschenden. Doch Teufel, Langhans und Co. freuten sich am meisten, wenn sie auf mir die Pakete von Muttern auspacken durften, mit Toblerone und Zigaretten. Ansonsten mußte ich mir noch – ich schwöre, das war der einzige Akt sexueller Befreiung – ihre nackten Hintern ansehen, als sie für den Stern posierten.
Später dann gab's elf Jahre lang keine taz mehr ohne mich. Seit 1979 war ich taztäglich das Zentrum dieses Projekts; dieser linken, radikalen Tageszeitung, die zwar ihrem zweiten Adjektiv längst ade gesagt hat, sich aber nichtsdestotrotz immer gerne als legitime Erbin der Studentenrevolte betrachtet.
Ein paar hundert Mark Einheitslohn, ein paar tausend Abos, Krisen, Streiks, Besetzungen und vor allem die Tischmanieren der tazlerInnen – haben mich gezeichnet. Sogar einen Wettbewerb um den schönsten Männerhintern haben die taz-Herren auf meiner Platte ausgetragen. Hab mir 'nen Ast gelacht bei diesen Unterhosen von der Ortskrankenkasse.
Nie hab ich mich während all der Jahre politisch geäußert, mich immer eisern, ehm, hölzern mit Stellungnahmen zu den Idealen der „Bewegung“ zurückgehalten. Trotzdem wurde ich aus politischen Gründen entführt, in einer spezialrevolutionären Aktion in meine Einzelteile zerlegt und vom „Zentralrat der umherschweifenden HaschrebellInnen“ in ein besetztes Haus in Ostberlin transportiert. Die konnten die „schmierigen JournalistInnenpfoten“ auf mir als „sozialrevolutionärer Relikwie“ nicht mehr ertragen. Gerade frisch in ihrer Gewalt, fingen sie an, mich mit nacktem Gemächte zu langweilen (s. Foto). Mehr fiel ihnen zur K 1 wohl nicht ein.
Die tazler holten mich zurück, doch prompt wurde ich wieder geklaut und zur Wandertrophäe der Besetzerszene. Stand auf Schloß Zeesen und landete in Potsdam. „Wenn ihr ihn nicht verheizen oder verkloppen wollt“, hatte Ströbele an meine neuen Tischherren geschrieben, „sondern den Etappen, die seine Tradition prägen, eine neue hinzufügen wollt, so sei er Euch zu treuen Händen überlassen.“ Als hätten diese Rotzlöffel eine Ahnung gehabt, wovon er spricht. Irgendwann '93 landete ich auf dem Scheiterhaufen. Noch nicht mal meine Asche ist als Reliquie erhalten. Ob damit auch all das in Rauch aufgegangen ist, wofür ich stand? Bascha Mika
Am kommenden Dienstag: Eine Hochwassermarke in Regensburg
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