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Archiv-Artikel

theater Auf die Plätze, fertig - Andorra!

Wie inszeniert man den Schrecken aller Deutschstunden, ein humorloses Thesenstück für die neunte Klasse, zu Boden gedrückt von der eigenen Moral und Bedeutung? Torsten Fischers Antwort lautet: durch Leichtigkeit und vor allem durch Tempo. Bei ihm wird die dröge Parabel vom Max Frisch zum flotten Konversationsstück, das düstere Drei-Stunden-Drama verlegt Fischer für knappe neunzig Minuten an die Sektbar eines edlen Restaurants.

Der junge Andri (großartig: Markus Gertken) arbeitet als Kellner. Und er will heiraten: Barblin, die Tochter seines Pflegevaters. Der Vater aber weigert sich - etwa weil Andri Jude ist? Solche Vorurteile darf es eigentlich nicht geben in der toleranten andorranischen Gesellschaft.

Während vorne die Familie streitet, hält im Hinterzimmer, für jeden sicht- und hörbar, jemand eine Rede. Von deutschen Komplexen spricht er und von den Juden als Tätervolk: Peider heißt der Populist, zitiert wird Martin Hohmanns verkrachte Rede zum 03. Oktober 2003. Nach dem Applaus gehen alle zum Sektempfang. Und hier, zwischen Bar und Büffet, zwischen Discokugel und Klavierbegleitung, lässt Torsten Fischer Andris Drama mit den toleranten Menschen von Andorra sich abspielen: Im heitersten Ton dreschen schicke Anzugträger jüdische Klischees, erzählen den einen oder anderen Judenwitz, alles nicht bös gemeint, man wird doch einen Spaß verstehen?

Doch die Leichtigkeit wird unerträglich für Andri, die Situation eskaliert. Als sich herausstellt, warum er und Barblin nicht heiraten können - weil Andri ihr leiblicher Bruder ist, den der Vater (nicht immer überzeugend als versoffener Alt-Revoluzzer: Michael Altmann) als jüdisches Findelkind ausgab, um selbst als Wohltäter dazustehen - da ist es für Andri zu spät: Er nimmt das Bild an, das die Anderen sich von ihm gemacht haben, er ist der Jude, den sie in ihm sehen. Wir machen uns ein Bildnis von unseren Mitmenschen, und solche Bildnisse können tödlich sein, so lautet die Botschaft von Max Frisch. Torsten Fischer deutet Andris Tod nur an, löst ihn in Wahnsinn auf, in den die netten Partygäste ihn getrieben haben.

Im Schweinsgalopp lacht und small talkt sich das Ensemble durch diesen aufs Nötigste zusammengekürzten Andorra-Extrakt: Fischer hat die Szenenstruktur aufgelöst, verzichtet auf die „Zeugenaussagen“ und die “Judenschau“ am Schluss. Langatmigkeit und Schwere sind dadurch gebannt, doch manches geht verloren im Gescherze: Hintergrundlachen stört bei intimeren Szenen zwischen Andri und Barblin (sehr gut als Party-Nettmensch: Anja Herden) und zeigt: Fischer hat Angst vorm Text-Pathos. Im Ganzen überzeugend (wenn auch überdeutlich) wirkt dagegen der Verweis auf modernen Salon-Populismus: Viel zu oft geht Dummheit in Häppchenessen und Geplauder unter.

HOLGER MÖHLMANN

“Andorra“, Schauspielhaus, Offenbachplatz, Tel. 221-28 400, Nächste Vorstellungen 21. und 26. März, 19.30 Uhr, 28. März, 16 Uhr