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■ Surreal, bedrückend, flimmernd, Harvey Keitel: Der Blick des Odysseus von Theo Angelopoulos

Minutenlang wird ein gigantischer, zerlegter Lenin auf einem Binnenschiff die Donau hinauf geschippert. Die in Stein veredelten Züge schieben sich zügig und gewaltig wie die Zeitenwende vor Flußauen und staunenden Menschen her. Ewig und ruhig läßt die Kamera den Blick gewähren, und dennoch ist es schade, als sie abschwenkt – auf Harvey Keitel, A. genannt im Blick des Odysseus von Theo Angelopoulos. Edel ist das Anliegen des Dreistunden-Epos, sehnsüchtig und moll: Ein bewegendes Bild des Balkans wird gezeichnet, ein Lied auf die Unschuld des Films gedichtet, eine Skulptur des guten Individuums gemeißelt.

Harvey „A.“ Keitel kommt als Filmemacher aus den USA in seine Heimat Griechenland zurück, um verschollenes Filmmaterial der Brüder Manakis vom Beginn des Jahrhunderts zu suchen. Ein Roadmovie der besonderen Art beginnt: Auf Traumpfaden wandelt A. über Albanien, Mazedonien, Rumänien bis ins bombardierte Sarajevo. Hier trifft er auf den Hüter der Kinemathek, der ihm die kostbaren Manakis-Filmdokumente entwickelt und den vor bald hundert Jahren auf Zelluloid gebannten Blick der Brüder wieder freisetzt wie Aladin den Wunderlampengeist.

In surrealen, bedrückenden Szenen läßt Theodorakis das Rätsel Balkan zwischen den flimmernden Bildergeschichten der Manakis-Brüder und dem Schnee, dem Nebel und dem Kriegshorror changieren. Verloren und desorientiert bewegen sich die Individuen im kalten Raum, sie haben der unmenschlichen Umgebung nichts entgegenzusetzen als die eigene menschliche Wärme. Ständig kreuzt dabei in wechselndem Outfit dieselbe slawische Ninotschka (Maia Morgenstern) seinen Weg, die, seinem heiseren Monolog und seiner Trinkernase offenbar auf der Stelle verfallen, sich ihm an den Hals werfen muß. Nach kurzen, peinlichen Romanzen wird die Frau mit den vielen, aber profillosen Gesichtern von A. selbstredend zurückgelassen; schließlich hat er eine höhere Mission zu erfüllen und viele melancholische und freundschaftliche Männer zu treffen.

Angelehnt an Edward Said, der das westliche Bild vom exotischen, safrandurchzogenen Mittleren Osten „Orientalismus“ nannte, ließen sich Angelopoulos' mystifizierende Impressionen als „Balkanismus“ kritisieren, wenn er uns nicht gleichzeitig pathetisch wie Wim Wenders und magisch-realistisch mit dem Klischee versöhnte. Keitel allerdings taugt besser zum Rauchwarenhändler als zum Odysseus. Irritierend außerdem, daß A. Keitel in gut imperialistischer Tradition davon ausgeht, daß die Manakis-Filme nur ihm zustünden, bloß weil er am rücksichtslosesten danach verlangt.

So jedenfalls kommt er der „Unschuld des Blicks“ aus einer vermeintlich heileren Zeit bestimmt nicht näher.

Ulrike Winkelmann

Metropolis

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