: Auf der Freitreppe
Kommunikation ist alles: Draußen vor den Türen der Kongressräume wurden die in den Panels angestoßenen Streits weitergeführt
von ARNO FRANK
Was auf Flughäfen die Lounge und beim Arzt das Wartezimmer, das ist bei Kongressen das Foyer. Hier fließt zusammen, was womöglich nicht zusammengehört, womöglich aber trotzdem zueinander finden kann. Was sich bei den einzelnen Veranstaltungen in Podium und Auditorium schied, in Experten hier und Zuhörer da, durchmischte sich ganz vortrefflich auf der luftigen Freitreppe des Hauses am Köllnischen Park. Im lichten Foyer ließen sich die von den Sälen ausgespuckten Teilnehmer beobachten, gestattete der taz-kongress Einblicke in sein Wesen (siehe Foto unten).
Und das war, der sachlich-modernen Architektur zum Trotz, verwirrend: Kein Besucher, der nicht ratlos vor der mächtigen Orientierungstafel nach dem rechten Weg, dem richtigen Raum geforscht hätte. Kein Besucher, der nicht irgendwann an einem der Verkaufs- und Infostände in den Ecken und Winkeln des Gebäudes hängen geblieben wäre. Sehr praxisnah hieß es hier: „Was wollen wir trinken?“, „Wo sind die Toiletten?“ oder „Wo zum Teufel ist Raum 206?“
Ein Zentrum des gesitteten, regen Treibens war die Kantine. Im ruhigen Hafen der Gastronomie konnte man beanspruchte Referenten beim Entspannen beobachten oder dabei, wie sie taz-Mitarbeitern tröstend auf die Schulter klopften, denen gerade ein Panel in die Hose gegangen war. Eine weitere beliebte Anlaufstelle war der weiche Spielboden, auf dem sich „die Jüngsten“ vergnügten – der ambulante Krippenservice wurde wegen starker Nachfrage bis um 20 Uhr verlängert. Derweil wurden vor den Flügeltüren der Hörsäle vehement Streitgespräche fortgesetzt, die in den Veranstaltungen selbst keinen Platz mehr hatten. Vor allem die Diskussion um die Achtundsechziger fand, zwei Tage lang, einen deutlichen Widerhall im Foyer. Keinen Platz in der Veranstaltung hingegen fanden viele Besucher vor allem bei der „Literarischen Whiskyprobe“ mit Ralf Sotscheck und Harry Rowohlt: Wer zu spät kam, den strafte der gestrenge Türsteher mit Appellen an die Vernunft: „Da drin ist nun wirklich kein Platz mehr.“
Wer sich dem fortwährenden Austausch entziehen wollte, der lagerte sich lang auf der Treppe hin, wo sich der Eingangsbereich bestens im Blick behalten ließ – ohne Gefahr zu laufen, im transitorischen Ort in Gespräche verwickelt zu werden. Wer da ganz sichergehen wollte, der flüchtete unter die Treppe, um vor einem Fernseher historischen Sportveranstaltungen beizuwohnen – ein Service des Ressorts „Leibesübungen“, der vor allem bei meditativ interessierten Teilnehmern Anklang fand.
Auch am Rande heiß diskutiert wurde freilich die richtige Antwort auf die Frage „Wie wollen wir leben?“. Ältere Semester hielten dies prinzipiell für eine „sinnvolle“, jüngere hingegen für eine „anmaßende“ Frage. Am Zigarettenautomaten suchte schließlich ein Wittgenstein-Experte die Wogen zu glätten: Die Frage sei – wie alle wichtigen Fragen – falsch gestellt und als mathematische Formel besser formuliert gewesen. Von der Suche nach einer vernünftigen Antwort dürfe man sich aber dennoch nicht abhalten lassen: „Nebenbei macht das hier ja auch Spaß“.
ARNO FRANK, 30, ist taz-Medienredakteur
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