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Auf der Flucht aus der russischen Besatzungzone

■  Angriffe der russischen Armee in Tschetschenien fordern weitere Opfer. Über 100.000 Menschen auf der Flucht. Russland stockt Verteidigungshaushalt auf. Tschetschenien soll geteilt werden: Russische Besatzung auf Dauer geplant

Moskau/Grosny (dpa/rtr/AP) – Die russischen Angriffe im Kaukasus fordern immer mehr Opfer unter der Zivilbevölkerung. Nach tschetschenischen Angaben beschoss das russische Militär die Region südwestlich der Hauptstadt Grosny mit mindestens zwei Kurzstreckenraketen. Russische Artillerie habe zudem Dörfer im Nordwesten sowie östlich von Grosny angegriffen. Es habe Opfer gegeben, hieß es. Zuvor hatten russische Panzer Busse mit Flüchtlingen unter Beschuss genommen und dabei 28 Menschen, in der Mehrzahl Frauen und Kinder, getötet.

In Tschetscheniens Nachbarrepublik Inguschetien wurden gestern bereits mindestens 111.000 Flüchtlinge gezählt, teilte das Ministerium für Katastrophenschutz in Moskau mit. Nach Dagestan seien fast 10.000 Menschen geflohen. In Inguschetien reichten die Vorräte nur für etwa 5.000 Menschen, warnte der Republikspräsident Ruslan Auschew. Zudem gebe es zu wenig Medikamente und Versorgungsmöglichkeiten für Kranke.

Die Erkenntnis, dass der neue Krieg gegen die Kaukasusrepublik Tschetschenien lang und teuer wird, hat sich jetzt auch in Moskau durchgesetzt. Gestern erklärte Finanzminister Michail Kassjanow, dass der Verteidigungshaushalt wegen der Krise höher als geplant ausfallen müsse. Er bezifferte die Aufstockung des Etats auf 26 Millarden Rubel (mehr als 1,8 Milliarden Mark).

Unterdessen drangen russische Truppen gestern weiter in die Kaukasusrepublik vor und dehnten die so genannte Sicherheitszone in nordöstlicher Richtung aus. Das gegenwärtige russische Vorgehen bezeichnete der russische Verteidigungsminister Sergejew als „Bestandteil der ersten Phase der Operationen“ zur Herstellung einer Sicherheitszone. Die Zeitung Wremja berichtete, Ziel des Kremls sei es, in dem „befreiten Teil“ Tschetscheniens einen moskautreuen „Generalgouverneur“ einzusetzen.

Sergejew sagte, dass er in den nächsten Tagen mit weiteren Angriffen der Tschetschenen rechne. Er reagierte damit auf die Verhängung des Kriegsrechtes in Tschetschenien durch dessen Präsident Aslan Maskhadow. In einem Erlass wird dieser Schritt mit „der Aggression der Russischen Föderation gegen die Republik Tschetschenien und dem Beginn breit angelegter militärischer Aktionen zum Schutz der Souveränität und Integrität des Landes“ begründet.

Maskhadow selbst übernahm das Kommando über die tschetschenische Armee. „Maßnahmen zum Widerstand gegen die russischen Truppen“ seien angeordnet, hieß es.

Die islamischen geistlichen Führer wurden nach den Worten des stellvertretenden tschetschenischen Ministerpräsidenten Kasbek Machaschew aufgefordert, die Tschetschenen zum „heiligen Krieg“ gegen die russischen Truppen aufzurufen.

Bundesaußenminister Joschka Fischer kritisierte das militärische Eingreifen Russlands in Tschetschenien. Eine Lösung des Konfliktes sei nur durch einen politischen Dialog mit den moderaten Kräften in Tschetschenien zu erreichen, sagte Fischer gestern in Wien.

Bericht Seite 10, Kommentar Seite 12

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