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Archiv-Artikel

Auf den Marathon und anderen Eventterror am Kurfürstendamm könnte Kioskbetreiber Serpil Albayrak gut verzichten Mit den Strippenziehern in die Sauna

VON ESTHER SLEVOGT

DIE LEUTE VOM KURFÜRSTENDAMM

Serpil Albayraks Standort könnte man privilegiert nennen. Sein Kiosk Kurfürstendamm Ecke Uhlandstraße befindet sich in prominenter Lage. Nicht nur Ströme von Touristen fließen hier täglich vorbei, die Zeitungen, Stadtpläne und Postkarten kaufen oder Tickets für Stadtrundfahrten. Auch viele Alteingesessene gehören zu Albayraks Stammkunden. Wenn auch manche der Schillerndsten unter ihnen in den letzten Jahren verstorben sind. Der alte Dr. Bier zum Beispiel, Mieter im prunkvollen Haus Kurfürstendamm 211, der stets im seidenen Clark-Gable-Morgenrock am Morgen bei Serpil Albayrak seine Tageszeitung kaufen kam.

Privilegiert ist Albayrak aber auch deshalb, weil die ganze Welt zu ihm kommt, ohne dass er groß etwas unternehmen muss. Er thront in seinem kaum zwei Quadratmeter großen Verkaufsraum, von Zigaretten, Süßwaren und Souvenirs umstellt wie von einer kleinen Privatarmee. Internationale Zeitungen und Journale stapeln sich auf dem Tresen. Auch draußen ist sein pagodenhafter Bau gepflastert mit den großen Tageszeitungen, von der International Herald Tribune bis zur Pariser Le Monde. Aber auch Blätter wie das russischsprachige Organ der Berliner Russen, Russkij Berlin, sind hier zu finden. Wo sind die türkischen Zeitungen? Ach, sagt er, hier wohnt nur eine einzige türkische Familie in der Nähe, und deren Zeitung hält er täglich unterm Ladentisch bereit.

Und dann ist man auch schon mitten drin in der Geschichte, wie Albayrak als junger Kurde in den neunziger Jahren versuchte, die fest verteilten Besitzstände am Kurfürstendamm aufzubrechen. Wie er damals, mit Mitte zwanzig, vom knarzigen Fred Ackermann, dem Nachkriegsurgestein auf dieser Straße, den Kiosk übernehmen wollte, als dieser sich zur Ruhe setzen wollte. Wie schwer das war, hier überhaupt als Bewerber ernstgenommen zu werden als einer, der erst in den Achtzigern als Teenager aus der Türkei nach Deutschland gekommen war.

Albayrak erzählt, wie er in der Sauna der Thermen im Europa-Center, wo die Strippenzieher der Ku’damm-Szene ihre Absprachen trafen, um eine Lobby zu kämpfen begann. Wie dort ausgerechnet zwei osteuropäische Holocaustüberlebende, die nach dem Krieg hier gestrandet waren, zu seinen wesentlichen Fürsprechern wurden, deren Überlebensgeschichten er erzählt, als wären es seine eigenen. Als er 1998 endlich sein Ziel erreicht hatte, sei es ihm in kurzer Zeit gelungen, die Zahl der verkauften B.Z.-Ausgaben von täglich dreißig auf dreihundert zu steigern. Das Springerblatt ist offenbar die Währung, mit der sich in seiner Branche geschäftlicher Erfolg berechnen lässt.

Inzwischen allerdings ist die Zahl der verkauften B.Z.s wieder auf dreißig pro Tag gesunken. Wegen der ewigen Sperrungen der Straße. Wegen der Marathons, diesen schrecklichen Fressmeilen oder anderen Veranstaltungen, in denen Albayrak nur geschäftsschädigenden Eventterror sieht. Aus seiner Sicht ist das auch eine Verschwörung der Berliner Politik, um die Straße zu töten. Die sinkenden Zeitungsverkäufe führt Albayrak aber auch auf die digitale Revolution zurück: darauf, dass viele ihre Zeitungen längst als App auf dem Handy lesen. Auch Postkarten würden ja nicht mehr wie früher gekauft, sagt er. Die Leute fotografieren jetzt mit der Handykamera und schicken die Fotos per MMS. Gerne würde er deswegen sein Geschäftsmodell grundsätzlich ändern. Doch das Bezirksamt lässt ihn nicht. Nicht mal kaufen kann er den Kiosk, den er seit über 13 Jahren betreibt. Nur jährlich pachten.

Vielleicht noch zehn, ach nein, höchstens fünf Jahre, sagt Serpil Albayrak, wird er vom Verkauf von Postkarten und Zeitungen noch leben können. Dann muss er die ökonomischen Grundlagen seiner Existenz neu überdenken.