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Auf dem Weg zum Finanznotstand

■ Finanzsenatorin präsentiert Horrorzahlen: Deckungslücke für 1996 liegt bei 5,3 Milliarden Mark. Haushaltsloch bis 1999 rund 9 Milliarden höher. Fugmann-Heesing für Erhöhung der Gewerbesteuern

Bei der Vorstellung der neuesten Haushaltszahlen hatte die neue Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) wohl an den Ausspruch Winston Churchills gedacht, der den Briten während des Krieges nur Blut, Schweiß und Tränen versprechen konnte. Für die Bürger der Stadt, so die sozialdemokratische Politikerin nicht weniger dramatisch, werde es in den nächsten Jahren ein „schwerer, entbehrungsreicher Weg“.

Seit gestern ist klar: Die jüngsten Schätzungen der Finanzverwaltung, die auf der Grundlage des Jahreswirtschaftsberichts der Bundesregierung vorgenommen wurden, werfen Teile der erst vor wenigen Wochen ausgehandelten CDU-SPD-Koalitionsvereinbarung über den Haufen (siehe Kasten). Statt einer damals angenommenen Deckungslücke von 23,1 Milliarden Mark werden es nunmehr 32 Milliarden bis 1999 sein. Es müsse daher „nachgebessert“ werden, kündigte Fugmann-Heesing an.

Dem Vernehmen nach wollen sich CDU und SPD am Mittwoch treffen. Dabei will die SPD unter anderem vorschlagen, die Subventionen für das Metropoltheater von jährlich 40 Millionen Mark zu streichen.

Sollte keine Kurskorrektur eingeschlagen werden, droht dem Land in zwei Jahren der finanzielle Notstand. Dann nämlich müßte jede dritte Mark aus den Steuereinnahmen für Zinsen und Schuldentilgung aufgebracht werden. Ohne ins Detail zu gehen, schlug Fugmann-Heesing gestern ein Bündel an Maßnahmen zur Stabilisierung des Haushalts vor. Zu den „strukturellen Einsparungen“ gehören neben dem bis 1999 vorgesehenen Personalabbau von 17.300 Stellen eine Erhöhung der Gebühren und Steuern, eine Absenkung der Standards in öffentlichen Einrichtungen sowie die Überprüfung von Investitionen.

In der Finanzverwaltung wird derzeit eine Liste über laufende Investitionsmaßnahmen bei Bauvorhaben und über mögliche kostengünstigere Varianten erstellt. Auf ihre Notwendigkeit hin überprüft werden sollen zudem alle geplanten Investitionsprojekte. Mit ihrer Forderung nach einer „weiteren Erhöhung“ der Gewerbesteuer übte die Finanzsenatorin indirekt Kritik an ihrem Amtsvorgänger, dem jetzigen Wirtschaftssenator Elmar Pieroth (CDU). Die Gewerbesteuer soll laut Koalitionsvereinbarung erst 1998 auf 390 Punkte angehoben werden. Einen Seitenhieb hatte sie für ihre Senatskollegen parat. Mancher habe noch nicht die erkannt, was „wir leisten müssen“.

Nach ihren Vorstellungen sollen sowohl der Nachtragshaushalt und das Haushaltsstrukturgesetz noch vor Ostern verabschiedet werden. Zurückhaltend bewertete sie Vorschläge, durch die Veräußerung von Vermögesanteilen des Landes die Deckungslücke zu schließen. Dies könne lediglich eine „unterstützende Maßnahme“ zur Konsolidierung sein.

Heute berät Fugmann-Heesing die Haushaltslage mit den Bezirksfinanzstadträten. Am Freitag will sie das Milliardendefizit mit relevanten gesellschaftlichen Gruppen erörtern, darunter die Kirchen und Sport- und Unternehmensverbände. Severin Weiland

siehe auch Seite 22

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