Auf dem Weg in die Institutionen: „Ich brauche die Masse“
In die Politik wollte Inge Hannemann eigentlich nicht, nun tritt die „Hartz-IV-Rebellin“ doch als parteilose Spitzenkandidatin der Linkspartei in Osdorf an.
taz: Eigentlich haben Sie ausgeschlossen, in die Politik zu gehen. Warum treten Sie jetzt doch für die Linke an?
Inge Hannemann: Ausgeschlossen habe ich das wegen meiner Erfahrungen bei den Jusos. Ich war ja mal Landesvorsitzende in Baden-Württemberg, dort habe ich gesehen, dass viel mit Intrigen gearbeitet wird. Das sieht man ja auch jetzt im Fall von Edathy. Vielleicht kann ich damit heute besser umgehen. Ich habe festgestellt, dass ich nur politisch etwas ändern kann. Sonst gelte ich immer als Einzelperson – unabhängig davon, wie viele Unterstützer ich habe.
Aber Sie sind doch das beste Beispiel dafür, dass man durch das eigene Handeln viel in Bewegung bringen kann.
Ich kann Diskussionen anregen – was ich auch geschafft habe. Aber um etwas umzusetzen, brauche ich – leider sozusagen – die Politik. Um einfach einen Machtapparat hinter mir zu haben. Dort habe ich auch die entsprechenden Kontakte, kann im Namen der Partei Anfragen anstoßen und ich kann ganz offen Kritik äußern, ohne dass ich angegriffen werde, weil Politiker das ja dürfen.
Die Entscheidung ist also eine Folge persönlicher Angriffe?
Nein. Aber als Einzelperson habe ich kaum Aussagekraft, ich brauche die Masse hinter mir und ich kriege die Betroffenen, die Erwerbslosen, für die ich versuche einzutreten, nicht als Masse hinter meine Person. Wir werden ja auch als Bürger nicht mehr wirklich ernst genommen.
Inge Hannemann
45, wurde wegen ihrer Kritik am Hartz-IV-System im April 2013 vom Jobcenter-Dienst suspendiert.
Was die Linkspartei von Ihnen hat, ist klar. Aber was versprechen Sie sich davon?
Einmal mehr Power, weil ich jemand bin, der nicht so schnell aufgibt. Und dann möchte ich mein Wissen mit einbringen und den Finger in die Wunde legen, zum Beispiel im Jugendhilfebereich oder in der Arbeitsmarktpolitik. Ich denke aber, wir profitieren beiderseits. Das ist eine Geschäftsbeziehung. Die Partei profitiert durch meinen Namen, ich profitiere, weil ich die internen Instrumente benutzen kann.
Wenn man Ihre Auftritte in der Öffentlichkeit sieht, könnte man den Eindruck gewinnen, die Linkspartei – allen voran die Vorsitzende Katja Kipping – hat sich bei Ihnen eingehakt und Sie nicht wieder losgelassen.
Das hat für mich keine große Bedeutung, weil mir so ein Obrigkeitsdenken fremd ist. Ich mache keinen Unterschied zwischen Katja Kipping, Kersten Artus oder meinem Nachbarn. Klar war es bei meiner Gerichtsverhandlung und der Frage, ob diese ein Politikum ist, gut, dass Kipping bekannt ist. Dadurch, dass auch sie sich dazu geäußert hat, hatte das mehr Aussagekraft. Ich schätze sie aber auch als Mensch sehr. Wir laufen von den Einstellungen her auch sehr konform.
Haben Sie das Gefühl, dass Ihre Position durch diese Unterstützung mehr Gewicht bekommt?
Eine politische Gewichtung. Die ganze Problematik, die ich öffentlich kritisiere, ist ein Politikum. Das ist eine Sache, die aus dem System heraus geändert werden muss. Nicht durch einen einzelnen Mitarbeiter, durch den haben wir gar nichts gewonnen.
Sie waren die erste Jobcenter-Mitarbeiterin, die so öffentlich das Hartz-IV-System kritisierte. Glauben Sie nicht, dass Sie anderen damit die Tür geöffnet haben?
Es war gut, dass endlich jemand mit seinem Namen an die Öffentlichkeit gegangen ist. Anonyme gab es ja vor mir auch schon. Eigentlich bestätigt das ja genau das, was Gewerkschaften, Verbände und Betroffene seit Jahren bemängeln und was immer abgetan wurde mit einem: So schlimm ist es doch gar nicht. Und nun kommt eine Hannemann und sagt, es ist genau so, die Menschen haben Recht.
Sie haben mit Ihrer Kritik als Bloggerin und „Hartz-IV-Rebellin“ so viel Aufmerksamkeit bekommen. Schätzen Sie die Unabhängigkeit nicht?
Die Aufmerksamkeit ist ja medientechnisch. Weil die Medien einfach gerne personalisieren. Ich fühle mich trotzdem, auch wenn ich jetzt in die Politik eintrete, immer noch unabhängig. Ich werde auch weiterhin Missstände öffentlich machen und meine Position als derzeit suspendierte Mitarbeiterin ist ja auch nicht schwächer geworden. Weil ich ja immer noch über meine Kollegen, die mir dabei helfen, Zugriff zum System habe.
Heute halten Sie Vorträge, sprechen im Bundestag über die geplanten Hartz-IV-Verschärfungen. Gefällt Ihnen dieser Ruhm?
Mit gefällt es gar nicht, als Heldin bezeichnet zu werden. So sehe ich mich überhaupt nicht, auch nicht als Rebellin, eher als Aktivistin oder als normale Bürgerin, die ihre Rechte einfordert. Hartz IV hängt ja nicht mit einer Hannemann zusammen. Es ist viel wichtiger, die Thematik in den Vordergrund zu stellen.
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