Berlinalie: Auf Berliner Busspuren um den Erdball
■ Mit Berlins Doppeldeckerbussen auf der Suche nach den Staus der Hauptstadt
Wer in Berlin den Doppeldecker der Linie 100 nimmt, ist gut beraten. Auf der Strecke zwischen Alexanderplatz und Zoologischem Garten wird die Straße Unter den Linden passiert, dann das Brandenburger Tor durchfahren, der Tiergarten gestreift und endlich der Zoo erreicht. Neben Geschichte und Ost-West- Kontrast erfährt man in 36 Minuten für nur 3,20 Mark auch etwas über die Berliner Verkehrspolitik: Busspuren sind in Deutschlands Hauptstadt rar gesät.
Eigentlich wollte die Große Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode Berlins Busse auf 270 Kilometern am Stau vorbeifahren lassen. Heute sind die Sonderstreifen mit rund 50 Kilometern kaum länger als vom rot-grünen Vorgängersenat hinterlassen. Dafür könnte man mit den Presseerklärungen, mit denen sich Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) und die SPD in dieser Sache bekriegen, den Erdball umrunden – reihte man die Papiere aneinander. In der ehemals geteilten Stadt scheint es kein wichtigeres Thema zu geben.
Vor vierzehn Tagen befaßte sich der Koalitionsausschuß erneut mit dieser Frage – der Ausschuß vermittelt, wenn zwischen den Regierungsfraktionen die Fetzen fliegen. Seit Beginn der Legislaturperiode im Januar 1990 nämlich blockiert die CDU die Vorfahrt für den öffentlichen Nahverkehr – im irren Glauben, ohne Busspuren kämen Autofahrer schneller vorwärts. Erst wurden die Sonderfahrstreifen um ein Zehntel gekürzt, dann wurde auf ihnen vom frühen Abend bis zum Morgen das Autofahren erlaubt. Die Verspätungen der täglich 1.700 Busse haben zugenommen, die Betriebskosten sind in die Höhe geschossen, und die Fahrgäste fluchen.
Letzte Woche veranstaltete die SPD dann wieder eine Pressekonferenz, um für „Klarstellung“ zu sorgen – was niemand verstand. Schließlich hatte der Koalitionsausschuß beschlossen, die Busspuren nicht mehr auf 270 Kilometer, sondern nur auf 150 Kilometer zu verlängern – das aber wirklich. Ein voller Mißerfolg für die Spree-SPD. Hatten sie damals doch für die Busspuren der CDU einen Autotunnel unter dem Tiergarten zugestanden. Aber statt nun logischerweise auch auf die Verkürzung des Autotunnels zu bestehen, passierte eher das Gegenteil: Die Sozis nahmen ihr Veto gegen die geplante Tariferhöhung bei den öffentlichen Verkehrsmitteln zurück.
Mit dem Doppeldecker läßt sich also auch im kommenden Jahr etwas über den Stau in Berlins Verkehrspolitik lernen – dann allerdings für 3,70 Mark. Dirk Wildt
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