: Auf Arbeit und Liebe reduziert
Zum Tod von Francis Bacon ■ Von Grey Gowie
Bis zu seinem Tod am vergangenen Dienstag war Francis Bacon der größte lebende Maler und der größte britische Maler seit Turner. Das sind hohe Ansprüche. Es ließe sich einiges dagegen ins Feld führen. Bacon hatte keine formale Ausbildung, und man merkt es. Er war ein Aktionsmaler — er ging physisch auf die Leinwand los bis sie fertig war, und er versagte sich die architektonischen Möglichkeiten der Ölmalerei, ein Gemälde aufzubauen und immer wieder neu aufzubauen bis alles stimmt. Fehlschläge waren daher unvermeidlich.
Bacon hätte seinen frühen Instinkten folgen und mehr von seinen Arbeiten vernichten sollen. Außerdem verließ er sich manchmal — wenn auch nicht so häufig, wie die Leute glauben — auf die Ästhetik des Schocks: pinkelnde oder kotzende Figuren; eine nackte Frau mit Spritze auf einem Bett.
Diese und andere Kritik verblaßt, wenn man sich näher mit seinen besten Arbeiten beschäftigt. Er war ein sehr vornehmer Mann, im alten und aristokratischen Sinne des Wortes, und er brachte Größe in die moderne Malerei zurück. Mit Farbe konnte er verschwenderisch umgehen. Solche Worte benutzt man gemeinhin nicht im Zusammenhang mit moderner Kunst, aber für Bacon lassen sie sich ebenso verwenden wie für Picasso, van Gogh und Cézanne. Manchmal besuche ich eine Sammlung in Lausanne, wo er neben diesen Meistern hängt. Letzten Endes entscheiden sich auf diese Art die Dinge.
Ich habe Bacon in den letzten zehn Jahren seines Lebens gekannt. Er war nicht mehr die angriffslustige, furchterregende Persönlichkeit aus dem (Londoner) Soho der fünfziger und sechziger Jahre. Wie Freud uns empfiehlt, hatte er alles auf Arbeit und Liebe reduziert. Nach einem gefahrenerfüllten Leben — wenn ich mir auch nicht vorzustellen vermag, daß er ein anderes hätte führen können — hat er beides verbinden können. Ich vermute, gegen Ende seines Lebens war er so glücklich wie nie zuvor. Aber er hatte daneben auch Zeit für Zuneigung am Rande, und dafür werde ich ihm immer dankbar sein.
Wir begegneten uns über einen gemeinsamen Freund, David Sylvester, dessen Gespräche mit Francis Bacon zu den klassischen Texten der modernen Kunst gehören. Bacon mochte einen Essay, den ich über ihn geschrieben hatte. Da er dafür berüchtigt war, daß man ihn in dieser Hinsicht nur schwer zufriedenstellen konnte, nutzte ich die Gunst der Stunde und fragte ihn, ob ich seine Biographie schreiben könne. Ich sagte ihm, außer mir könne niemand seine Herkunft richtig würdigen. Zufällig hatten wir die gleichen Wurzeln, tatsächlich kamen wir sogar aus dem gleichen Dorf im County Kildare, wo Bacons Vater Rennpferde trainierte. Er gab zu, die Erinnerung an Irland sei für ihn ebenso wichtig wie traumatisch und schlage sich in seinen Bildern nieder. Wenn er überhaupt mit jemandem zusammenarbeiten werde, dann würde er das mit mir tun. Aber er wollte nicht, daß eine Biographie über ihn geschrieben würde. „Aber das wird auf jeden Fall passieren, Francis.“ „Ja, aber dann bin ich tot und habe nichts dazu beigetragen, und dann macht es mir nichts mehr aus.“
Ich fragte ihn, ob die Schwierigkeit in seinem Liebesleben liege, und teilte ihm meine Ansicht mit, jedes Liebesleben sei entscheidend und banal zugleich. Ich wolle die Bilder beschreiben, als seien es Schlachten; man muß über den General nur insoweit Bescheid wissen, als es sich auf Strategie und Taktik auswirkt. Er erzählte mir, er sei zu der Ansicht gelangt, Homosexualität sei eine Plage; zu einem Zeitpunkt seines Lebens sei er ihretwegen zum Schuft geworden. Dies, und nicht die Sexualität, war eine Quelle der Scham, und wenn er überhaupt ein Wort darüber verlor, dann entsprach es seinem Wesen, alles zu sagen. Wir mochten beide Proust und waren uns darüber einig, daß der Anfang von „Sodom und Gomorrha“ alles enthalte, was über die homosexuelle Existenz zu sagen ist. Er sagte mir, es gehöre entscheidend zu seinem Wesen, daß er seinen Vater weitgehend abgelehnt und seine Mutter gemocht habe, aber zu seinem Vater habe er sich hingezogen gefühlt. Er litt immer an Asthma; er konnte nicht nach Irland reisen, ohne daß es akut wurde. Er hielt Yeats und Picasso für die größten Künstler des Jahrhunderts.
Diese und ähnliche Gespräche fanden gewöhnlich bei erstklassigem Rotwein statt. Francis zum Essen einzuladen, gehörte finanziell in die gleiche Größenordnung, wie eines seiner Bilder zu kaufen. Er konnte immer höflich sein — außer bei Petrus, Mouton, Cheval Blanc, Margaux, Lafite. Von Zeit zu Zeit zeigte er Interesse für Politik; er beurteilte sie nach ihren Persönlichkeiten. Eine Zeitlang genoß Mrs. Thatcher seine Gunst, verlor sie aber schließlich an Dr. Owen. Als Geistlicher fühlte ich mich verpflichtet darauf hinzuweisen, daß der „Paragraph 28“ lediglich die homosexuelle Propaganda einschränken sollte und überhaupt nichts mit einem Pogrom zu tun hatte. Er litt unter dem Zerbrechen seiner Freundschaft mit Lucian Freud, den er vermißte. Er glaubte, Lucian habe ihn für langweilig gehalten, und wenn man das glaubt, wird man es häufig auch.
Zu Hause lebte er wie ein Student, wenn er ausging, wie ein Fürst. Die Dreizimmer-Atelierwohnung in Kensington, die man eher über eine Leiter als eine Treppe erreichte, ist für England wichtiger als jeder Canaletto. Wir müssen sie erhalten. Er spielte mit seinem Geld und verschenkte Geld und Gemälde. Er bewies eine aristokratische Gleichgültigkeit ohne aristokratische Herablassung. Ich bin froh, daß er in Madrid starb, umgeben von großen Gemälden und einem Menschen, der ihn glücklich gemacht hatte. Nichts wird jemals wieder der Art gleichkommen, wie Francis, intensiv körperlich, über Bilder sprach. Er selbst hat etwa ein Dutzend hinterlassen, die weiterleben werden, solange es Malerei gibt.
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