■ Scheibengericht: Auditive "Blumenlese"
20 ans de musique contemporaine à Metz (AU 31830 CD; 5 CDs)
Seit einger Zeit bildet sich unter den Tonträgern ein neues Genre heraus: der Festival-Sampler. Es gibt ihn in mehreren Varianten, als „Very best of“ eines Jahrgangs oder als „Collection of Highlights“ zum Jubiläum, deren Umfang je nach Selbstverständnis und Anzahl der Dezennien üppig bis oversized ausfällt.
Die 1972 gegründeten „Rencontres Internationales de Musique Contemporaine Metz“ sind das bedeutendste Festival zeitgenössischer Musik in Frankreich. Die Bedeutung bemißt sich dabei nicht, wie man glauben könnte, an der Umständlichkeit des Namens, sondern nach der Liste der dort uraufgeführten Werke, die späterhin Einzug in die Geschichtsbücher gehalten haben. Da das Festival in dieser Hinsicht einiges zu bieten hat, ist aus dem 5-CD-Sampler zum Zwanzigsten mehr als nur ein Geburtstagsständchen geworden. Die Versammlung kompositorischer Trendsetter der siebziger und achtziger Jahre erhebt sie in den Rang einer Anthologie. Die auditive „Blumenlese“ bindet manch illustre Blüte zum Kranz.
Sachlich trocken die Besetzungsangabe zum Titel zu erheben ist nur eines von vielen gemeinsamen Merkmalen, die Morton Feldman mit Mark Rothko verbindet (dessen Bilder freilich nach den verwendeten Farben benannt sind). Gleich der Farbfeldmalerei seines Künstlerfreundes ist Feldmans „Piano and Orchestra“ eine statische, monumentale Ikone, die eher zur Meditation denn zur Betrachtung einlädt. Die scheinbare Wiederholung der meist vielstimmigen Akkorde sind fortwährenden Verschiebungen von Nuancen unterzogen, wobei die Abtönungen durch Instrumentation oder Dynamik erzielt werden. Das leichte Grundrauschen der Aufnahme von der Uraufführung 1975 wird man allerdings akzeptieren müssen wie die Staubschleier auf den Rothkoschen Bildern.
Der französischen Erstaufführung ist es zu verdanken, daß Bernd Alois Zimmermanns „Musique pour les soupers du Roi Ubu“ wieder greifbar ist. Das bereits 1966 geschriebene Stück ist die wohl radikalste Anwendung des Collageprinzips in der Musikgeschichte und in ihrer Konsequenz des Zusammenzwingens des Entlegensten nur, um bei der bildenden Kunst zu bleiben, mit dem Zyklus „La femme 100 têtes“ von Max Ernst zu vergleichen. „Es ist nicht an der Feststellung vorbeizukommen, daß wir mit einer ungeheueren Vielfalt von in den verschiedenen Zeiten entstandenen Bildungsgütern einträchtig zusammen leben, daß wir gleichzeitig in vielen Zeit- und Erlebnisschichten existieren, von denen die meisten weder voneinander ableitbar erscheinen, noch miteinander zu verbinden sind, und doch sind wir in diesem Netz von vielen verwirrenden und verwirrten Fäden – sagen wir es ruhig: geborgen.“ (Zimmermann 1968)
Das schreit doch geradezu nach dem Postmoderne-Etikett, oder? Die „pluralistische Kompositionstechnik“ so weit zu treiben, daß schließlich keine eigene Note mehr im Text zu finden ist, erfordert höchste Meisterschaft. Im letzten Satz, dem „Marche du Décervellage“ (in etwa: Marsch des Gehirnzermanschens) sind Ausschnitte aus Berlioz' „Symphonie Fantastique“, Wagners „Walkürenritt“ und Stockhausens „KlavierstückIX“ so gnadenlos effektvoll montiert, wie es dem Titel ansteht.
Die dazugehörende kleine Fabel muß vielleicht doch erzählt werden: Roi Ubu, der Tyrann (eine Figur von Alfred Jarry), lädt zu seiner Feier des Grobianismus auch die Akademie des Landes ein, hofiert sie kurz und befördert sie sogleich durch eine Falltür in das mittels der Musik angedeutete Schicksal. Die Pointe: Zimmermann kombinierte das Stück im Auftrag der Berliner Akademie der Künste, deren Mitglied er gerade geworden war.
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