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Auch Schalke-Sozis müssen absteigen

■ Ende einer Ära: In Gelsenkirchen siegt ein CDU-Youngster – mit 123 Stimmen Vorsprung

Gelsenkirchen (taz) – Alles, wirklich alles hatte Gelsenkirchens SPD probiert. Mit Hausbesuchen, einem „außerordentlichen Hippenfest“, einem Rosen verteilenden Franz Müntefering und der Initiative „Biker für Klaus Härtel“ wollten die Sozis im Wahlkampf-Schlussspurt die Gelsenkirchener an die Urne locken. Nicht zuletzt hatte Noch-Oberbürgermeister Dieter Rauer in seiner Eigenschaft als Wahlleiter 100.000 Mark für erneute Wahlbenachrichtigungen investiert, was für prallgefüllte Leserbriefspalten sorgte. Es sollte nicht ganz reichen. Am Ende unterlag SPD-Kandidat Härtel denkbar knapp. 123 Stimmen fehlten ihm am vergangenen Sonntag in der Stichwahl zum Sieg gegen seinen erst 33-jährigen Konkurrenten Oliver Wittke von der CDU.

Eine bittere Zäsur für die Schalke-Sozis: Seit dem Krieg hatten sie immer den Oberbürgermeister der Ruhrgebietsstadt gestellt und mit komfortablen Mehrheiten regiert. Nun der jähe Abstieg: Ein CDUler hat die rote Hochburg geschleift!

Wer ist dieser Oliver Wittke? Schon früh fand er den Weg zur Politik. Während einer Diskussion über den Nato-Doppelbeschluss trat der Schüler der Jungen Union bei, deren mitgliederstärksten Bezirksverband Ruhrgebiet er von 1990 bis 1996 führte. Mit 23 wurde er in den Stadtrat gewählt. Der Diplom-Geograf arbeitet halbtags in einer Entwicklungsagentur in Bergkamen, vermarktet Gewerbeimmobilien und -flächen. Die andere Hälfte seines Tages verbringt er im Landtag, dem er seit 1995 angehört.

Nun will Wittke zunächst die Übergabe seines Landtagsmandates regeln und „meinen Job abwickeln“. Um dann die Nachfolge des affärengeplagten Dieter Rauer anzutreten. Der seit 1997 amtierende SPD-OB hatte seinen Sohn im Dienstwagen auf Schalke fahren lassen, zwei Dienstreisen in die USA unternommen, um Ideen für den einheimischen Zoo zu sammeln und war zudem in die Kritik geraten, weil seine Frau ein Haus ohne Genehmigung gebaut hatte. Zum Schluss war Rauer seinen Genossen derart peinlich, dass er weder auf der Homepage der SPD noch derjenigen der Stadt Gelsenkirchen Erwähnung fand.

„Die Leute haben mich gewählt, weil ich die Riesenchance auf einen Neubeginn verkörpere“, meint Wittke. „Der rote Filz hat die Leute aufgeregt.“ Natürlich habe auch der bundespolitische Trend eine Rolle gespielt. Und die Landespolitik: „Das eine Jahr Wolfgang Clement war ja nun wirklich nicht ruhmreich.“ Offenbar genug Gründe, einen 33-jährigen Youngster zum OB einer 280.000-Einwohner-Stadt zu küren.

Nun will Wittke ein lokales Bündnis für Arbeit auf die Beine stellen, „das diesen Namen wirklich verdient“. Und einen „neuen Politikstil“ will Wittke einführen. Kein Wunder – er muss mit wechselnden Mehrheiten regieren. 28 von 66 Sitzen hat die CDU gewonnen. Die SPD kommt auf 27 Sitze, die Grünen auf vier. Die restlichen sieben Ratsvertreter werden von PDS, FDP, „Republikanern“ und der maoistischen Liste AUF Gelsenkirchen entsandt.

Seine erste Amtshandlung indes soll sportlicher Natur sein: „Beim Spiel Schalke gegen Bayern werde ich als Maskottchen auf der Tribüne sitzen“, kündigt Wittke an. „Ich hoffe, das nützt dem Verein.“ Marcus Meier

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