: Auch Frauen kneten Masse
■ Der Kurzfilmwettbewerb „Young Collection“ geht heute in die elfte Runde. Mit dabei ist ein Film des Bremer Kurzfilmkreises. Gast-„Star“: Der „Nachwuchsschauspieler“ Detlef Kuhlbrodt
Seit einigen Jahren drängt sich Stefanie Donker immer mehr folgende Vermutung auf. In den Hobbykellern dieser Welt, also dort, wo früher Märklin-Eisenbahnen kurvten oder Skat gekloppt wurde, sitzen heute Menschenhorden, um Filmmaterial zu bearbeiten. Für ihren elften Kurzfilmabend „Young collection“ bewarben sich immerhin 45 FilmemacherInnen. Und die wenigsten stammen aus institutionalisierten Kontexten wie Film- oder Kunsthochschulen.
Zum Beispiel Familie Bettinger. Mit 15 Jahren drehte Sohn Eike ein Filmchen aus dem Handgelenk. Mittlerweile – Eike ist 20 Jahre – hat er Brüder, Vater, Mitschüler und auch die Mama mobilisiert und wagt sich mit deren Rückhalt an zunehmend professionellere und komplexere Filme. Ziel: ab nach Hollywood. Für sein jüngstes Meisterwerk „EXAM“ machte der Papa immerhin 30.000 Mark locker. Im Unterschied zu kommerziellen Filmen mit den immer gleichen Themen spiegeln solche autodidaktischen Angelegenheiten andere Erlebniswelten wieder; im besten Falle die eigenen. Und so bohrt sich „EXAM“ hinein in die Lähmung eines überforderten Schülers während der Abiprüfung. Und dieses Un-Thema ist auch noch spannend, dank kafkasker Perspektiven, Schnitte, Geräusche: Der Horror vacui vor dem unbeschriebenen Blatt gebiert Alpträume.
Bei der elften „Young Collection“ wird der Frauenanteil nicht wie sonst bei zehn Prozent dümpeln. Fünf von zwölf Filmen wurden von Frauen gedreht, darunter auch zwei Animationsfilme, teils mit Knetmasse, teils mit Computeranimation. Vielleicht schwindet die Angst vorm Technischen ja doch. Erstaunlicherweise brauchen diese Filme die Konkurrenz mit Disneys Moneypower nicht scheuen. Das Liebeswerben einer einsamen Hasen-Torte oder das groovige Rappen einer Sonnenblume, rührt zu Tränen wie einst Mogli. Im Unterschied zu Disney aber haben diese Impressionen aus der Welt der zum Leben erweckten Nippes jene kurzfilmtypische Mischung von Humor, Melancholie und enthemmter Durchgeknalltheit.
Ein Hagen Betzwieser von der Stuttgarter Fachhochschule für Kommunikation, der seinen Vornamen HGen schreibt und seine Produktionsfirma „visuelle geiselnahme“ nennt, ist voll auf der Höhe der Zeit und Technik. Er lässt seine Helden in apokalyptische, menschenleere virtuelle Realitäten flüchten und sterben. Jan Peters dagegen bewahrt sich seine Liebe zum Dilettieren. Zur Freude der Kurzfilmfestivalgemeinde landauf, landup. Auch diesmal erzählt er vor wackeliger Kamera erhebliche Unerheblichkeiten aus seinem Leben. Zum Beispiel zum Thema Schreibtischgestalten.
Auch in anderen Produktionen ist ein Hang zur Seltsamkeit zu beobachten. Einer zeigt die Rache eines mit Blut versauten Baguettes. Ein anderer interessiert sich für die halluzinogene Wirkung einsamer Tankstellentoiletten. Und bei „Tosesufer“ ist gar nichts mehr klar. Gaststar: Detlef Kuhlbrodt. Dieser Film wurde produziert vom Ar-beitskreis Kurzfilm, der wie das Kino 46 über dem Waller Comet-Supermarkt residiert: Ein Unort, der bei den nettesten Menschen Realitätsverlust auslöst. Und so erzählt der Film von einem Mann, der in einer Zeitschlaufe feststeckt. Doch die Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Der Mann, wechselt darin die Rolle – nicht unbedingt zu seinem Vorteil. Mit dem Thema des Identitätsswitches ist „Todesufer“ absolut up to date, siehe „Fightclub“.
Weil Kurzfilmemacher in der Regel nette, großherzige, lockere Menschen sind, spendet die Young Collection die Tageskasse an die beiden Besten. Wählen tut das Volk. Und das strömt seit einigen Jahren in Scharen zu Kurzfilmen wie weiland die Ossis zum Brandenburger Tor. bk
heute, 15.12., 20.30 Uhr, Kino 46
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