: Auch Engel haben Wutausbrüche
■ Angehörige von Demenzkranken müssen einiges aushalten. Nächste Woche treffen sie sich bei den „Alzheimertagen“
AlzheimerpatientInnen müssen oft für derbe Scherze herhalten, doch der Alltag mit Demenzkranken ist alles andere als komisch. Anfangs erinnern sich die Betroffenen nicht mehr an die Namen ihrer besten Freunde. Später stehen sie nach der Aufforderung, sich die Hände zu waschen, ratlos vor dem Waschbecken. In der kommenden Woche treffen sich Angehörige von Demenzkranken zu den dritten „Hamburger Alzheimer Tagen“im Hamburg-Haus Eimsbüttel.
„Wir kommen alle nicht mit Flügeln auf die Welt“, bekennt die 77jährige Inge Franz. Sie hat ihren dementen Mann zehn Jahre lang gepflegt. Das ging nicht ohne den einen oder anderen Wutausbruch ab. „Warum gerade ich?“habe sie sich immer wieder gefragt.
Inge Franz hat alles unternommen, um nicht in der Isolation zu versinken, in die viele pflegende Angehörige geraten. Sie spannte Freunde und Verwandte zur Betreuung ein. Zur Goldenen Hochzeit organisierte sie gegen den Widerstand der Familie ein traditionelles Festessen – obwohl ihr Mann die Gäste nicht einordnen konnte und gefüttert werden mußte.
Die resolute Frau ist unter den pflegenden Angehörigen eher die Ausnahme. Bettina Mutschler, Leiterin der Beratungsstelle für ältere Menschen „Die Brücke“in Eppendorf, hofft, durch die Tagung mehr jener Menschen anzuprechen, die mit der Betreuung eines Alzheimerkranken überfordert sind. Der Umgang mit Dementen ist belastend: Viele werden aggressiv und suchen die Schuld für eigene Fehlleistungen bei anderen.
In Hamburg leben etwa 20.000 Demenzkranke – 60 Prozent von ihnen zu Hause, die anderen in Pflegeheimen. Die unheilbare Erkrankung tritt in seltenen Fällen bei Mittvierzigern, in der Regel aber erst im Alter auf. Der langsame geistige Verfall beginnt mit einem unmerklichen Verlust von Gedächtnisleistungen. Nach und nach verlieren die Patienten die Fähigkeiten, Dinge zu beurteilen und Informationen zu verarbeiten. Schließlich verändern sich Gefühle und das Sozialverhalten. Demenzkranke beschuldigen ihnen Nahestehende des Diebstahls und finden in der eigenen Wohnung den Weg zur Toilette nicht. Der körperliche und geistige Verfall führt zum Tod.
Mit speziellen Medikamenten kann der Gedächtnisverlust für einige Zeit aufgehalten oder zum Stillstand gebracht werden“, sagt der Geronto-psychiater Jan Wojnar. Zuvor allerdings müssen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen durch eine präzise Diagnose ausgeschlossen werden, etwa Diabetes und Depressionen. In Hamburg gibt es drei spezielle „Memory-Clinics“: im Krankenhaus Ochsenzoll, im Albertinen-Haus in Schnelsen und in der Uniklinik Eppendorf.
Lisa Schönemann
„Hamburger Alzheimer Tage“vom 16.-20. Juni 1997 im Hamburg-Haus Eimsbüttel. Informationen beim Veranstalter Die Brücke e.V.4602158. Die Betreuung jener Patienten, deren Verwandte an der Tagung teilnehmen, übernehmen Altenpflegeschülerinnen..
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