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Atelier und Gulag

Mit den Exilprojekten „Aufstand der Fischer“ und „Kämpfer“ wurden zweibizarre Fußnoten der deutsch-russischen Filmgeschichte wiederentdeckt

Man könnte am Trash-Charakter seinen Spaß haben, bliebe einem das Lachennicht im Halse stecken

von CLAUS LÖSER

Es ist den Bemühungen des Berliner Kleinverleihs Neue Visionen zu verdanken, dass zwei fast vergessene deutsche Exilfilme nun erstmals regulär auf die hiesigen Leinwände kommen.

„Aufstand der Fischer“ ist die einzige Kinoarbeit des deutschen Theaterregisseurs und späteren Volksbühnenintendanten Erwin Piscator. Sein Film entstand 1934 nach einer Erzählung von Anna Seghers in der Sowjetunion und beschwört proletarische Solidarität anhand eines theatralisch inszenierten Modellfalls: Das historische Filmdokument (mit dem sich Piscator übrigens als erster Meister der fahrbaren Kamera erwies) erzählt vom Aufstand der ausgebeuteten Fischer von St. Barbara und endet nach dramatischen Kämpfen mit dem Sieg des Volkes.

Auch Gustav von Wangenheim konnte in der Sowjetunion, drei Jahre nach seiner Emigration, einen eigenen Spielfilm realisieren. Ein ebenso heikles wie zwiespältiges Privileg, wie sich bald herausstellen sollte.

Nach einer Idee des späteren DDR-Kulturdemagogen Alfred Kurella entstanden, erzählt „Kämpfer“ (1936) von einer Gruppe Berliner Arbeiter, die sich aktiv im Widerstand engagieren. Der parallel stattfindende Reichstagsbrand-Prozess und der damit verbundene Triumph Georgi Dimitroffs ist ihnen Ansporn. Für den jugendlichen Helden Fritz wird das kommunistische Engagement schließlich sehr konkret entlohnt: Die von ihm angebetete Anna geht auf sein Werben ein: Politik und Liebe werden eins.

Die Handlung und ihre inszenatorische Umsetzung kommen mit einer regelrecht bestürzenden Naivität daher, es wimmelt von Fehlern, die Dekors wirken hastig zusammengezimmert und die Darsteller überspielen ihre Rollen hemmungslos. Mitunter ist unklar, ob es sich um bewusste Stilisierungen handelt oder um pure Entgleisungen, ob vielleicht Mel Brooks oder Ed Wood auf dem Regiestuhl gesessen hat.

Am Trash-Charakter dieses Films könnte man seinen Spaß haben – würde einem das Lachen nicht im Halse stecken bleiben. Denn „Kämpfer“ lässt sich nicht an herkömmlichen Kriterien messen, mit jedem Filmmeter assoziieren sich Hotel „Lux“ und Gulag. Die Besetzungs- und Mitarbeiterliste liest sich wie eine Agenda des Scheiterns linker Utopien. Sei es Lotte Loebinger, die im Moskauer Exil mit dem KPD-Kader Herbert Wehner verheiratet war, sei es der zur kommunistischen Bewegung konvertierte Berliner „Vagabundenkönig“ Gregor Gog, der erschossen wurde, oder das Ehepaar Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner, die in der frühen DDR zu militanten Einpeitschern und Brecht-Gegnern wurden.

Das Bühnenbild stammt von dem Jugendstilmaler Heinrich Vogeler, der 1942 in Kasachstan erbärmlich verhungerte. Als Kinderstar hat dann noch Konrad Wolf, Sohn des kommunistischen Arztes und Dramatikers Friedrich Wolf („Zyankali“) und Bruder des späteren MfS-Generals Markus Wolf, sein Leinwanddebüt.

Dabei stellen die Schicksale der Prominenten ja nur die Spitze des Eisbergs dar, unerzählt bleibt die Geschichte der vielen Namenlosen, die von einem Tag zum anderen verschwunden sind. Nach dem Ribbentrop-Molotow-Abkommen von 1939 wurde der Film umgehend verboten, weitere Mitwirkende wurden von Moskau aus direkt der Gestapo überstellt.

In ihrer Häufung von ästhetischen und ideologischen Interferenzen gehören „Aufstand der Fischer“ und „Kämpfer“ ohne Zweifel zu den bizarrsten Fußnoten der deutsch-russischen Filmgeschichte.

„Der Aufstand der Fischer“. Regie: Erwin Piscator, Sowjetunion 1934, 96 Min., bis 14. März im Lichtblick-Kino, Kastanienalle 77, Prenzlauer Berg„Kämpfer“. Regie: Gustav von Wangenheim, Sowjetunion 1936, 85 Min. 29. u. 30. März im Nickelodeon, Torstraße 216, Mitte, dann Lichblick-Kino

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