Asylverschärfung in Brüssel: Die Grünen sind erstaunlich still

Obwohl die Ampelkoalition einer weiteren Verschärfung des EU-Asylrechts zustimmen will, bleibt lautstarke Kritik der Grünen aus. Nur einer schert aus.

Annalena Baerbock, Omid Nouripour und Ricarda Lang sitzen in einer Reihe

Annalena Baerbock, Omid Nouripour und Ricarda Lang beim Länderrat in Bad Vilbel im Juni 2023 Foto: Boris Roessler/picture alliance

Berlin taz | Als im Juni die Bundesregierung der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems, kurz GEAS, zustimmte, brach in Teilen der Grünen ein Sturm der Entrüstung los. Vom Ausverkauf grüner Werte war die Rede, schließlich war die Partei angetreten, die Lage von Geflüchteten zu verbessern. Sogar die Partei- und Fraktionsvorsitzenden zeigten sich in der Frage demonstrativ gespalten. Es brauchte zähe parteiinterne Verhandlungen und einen kleinen Parteitag in Bad Vilbel, um die Wogen wieder zu glätten. Das scheint nun anders zu sein.

Seit am Donnerstag die Bundesregierung verkündete, mit der Krisenverordnung einer weiteren deutlichen Verschärfung des Asylrechts auf europäischer Ebene zuzustimmen, beibt es bislang bei den Grünen erstaunlich still. Einer der wenigen, der sich neben einigen Fach­po­li­ti­ke­r*in­nen öffentlich klar positioniert, ist Timon Dzienus, der Co-Chef der Grünen Jugend.

„Die Krisenverordnung öffnet Tür und Tor für rechte Regierungen in Europa, wie die Faschisten in Italien, die Rechte der Geflüchteten maximal zurückzufahren“, sagte Dzienus der taz. Es könne möglich werden, dass alle Geflüchtete in den Lagern an den Außengrenzen landen oder einfach durchgewinkt würden. Das bedeute noch mehr Chaos und noch mehr Leid. „Dem darf die Ampel nicht zustimmen“, forderte Dzienus.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Donnerstag angekündigt, dass Deutschland der Krisenverordnung im Grundsatz zustimme. Annalena Baerbock, die grüne Außenministerin, trug dies mit. Sie verwies darauf, dass man noch etliche Punkte in den Text herein verhandelt habe. Welche Punkte das genau gewesen sein sollen, ließ sie allerdings offen.

Der Kanzler will Faeser den Rücken stärken

Die Krisenverordnung sieht Sonderregeln für EU-Staaten an den Außengrenzen vor, wenn dort besonders viele Mi­gran­t*in­nen ankommen. Eine Einigung der Innenminister war am Donnerstag an einem weiteren Verhandlungsbedarf Italiens allerdings gescheitert.

Dzienus, der sonst auch gerne mal die eigenen Leute angeht, kritisierte besonders Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scharf. Dieser hatte am Mittwoch mit einem angeblichen Machtwort für Furore gesorgt. Zwar heißt es von den Grünen, dass es dieses Machtwort gar nicht gegeben habe, aber Scholz Message war klar: An Deutschland werde eine Einigung im Brüssler Asylstreit nicht scheitern.

Nicht nur Dzienus empfand das als Schwächung der deutschen Verhandlungsposition. Scholz Vorstoß habe innenpolitische Gründe, ist Dzienus sicher. Der Kanzler wolle Faeser, die bei der Landtagswahl in Hessen in einer guten Woche als SPD-Spitzenkandidatin antritt, den Rücken stärken. Dafür das Leid von Geflüchteten in Kauf zu nehmen, sei „schäbig“.

Als sich im Juni die EU-Innenminister auf die umstrittene GEAS-Reform geeinigt hatten, gab es innerhalb der Grünen noch scharfe Kritik an Baerbock, die die Entscheidung mitgetragen hatte. Solche Kritik ist bislang kaum zu hören. Statt dessen heißt es immer wieder, auch von Parteilinken: Man sehe, dass Baerbock sich stark für Verbesserungen eingesetzt habe.

Landtagswahlen spielen ebenfalls eine Rolle

Am Wochenende hatte die Außenministerin öffentlich mitgeteilt, dass die Bundesregierung der Krisenverordnung in der damaligen Form nicht zustimmen könne. Dies habe neue Bewegung in die Sache gebracht, heißt es. Auch habe Baerbock parteintern besser kommuniziert als bei GEAS.

Die Grünen haben in den vergangenen Tagen in vielfachen Runden und Chats über die Lage beraten. An die interne Bitte, die Füße still zu halten, bis es eine endgültige Entscheidung in Brüssel gebe, halten sich aber bislang die meisten. Wichtig dürfte dafür nicht nur sein, dass es eine endgültige Bewertung erst geben kann, wenn die Krisenverordnung wirklich beschlossen ist.

Aber auch die anstehenden Landtagswahlen spielen dabei natürlich eine Rolle. Den Wahl­kämp­fe­r*in­nen will man es nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin haben. Denn, und das ist ein weiterer Grund: Die Grünen und ihre Positionen stehen stark unter Druck von rechts.

Die Anspannung in der Partei ist groß, das ist in vielen Gesprächen zu spüren. Manche meinen, man müsse weniger ideologisch, sondern pragmatischer vorgehen. Andere sind der Ansicht, man müsse viel offensiver progressive Positionen vertreten. Timon Dzienus sagt: „Vielleicht ist der Unmut sogar größer als im Juni, weil die Koalition dem Druck von rechts immer mehr nachgibt.“

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.