Asyl in Deutschland: Verbannt per Bezahlkarte
Das Aus für Bargeld nimmt Geflüchteten ein Minimum an Freiheit und Teilhabemöglichkeiten. Ein Theaterstück in vier Akten.
D ie Bezahlkarte für Geflüchtete ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Ein Theaterstück, das die Bühne für ein Publikum beleuchtet, das längst erkannt hat, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Die Politik löst mit der Bezahlkarte Probleme, die so real sind wie die Monster unter dem Bett, während mit ihr die echten verfassungswidrigen Ungeheuer – Ungleichheit, Diskriminierung und Ausgrenzung – frei herumlaufen, ungezähmt und ungehindert. Und so steht Frau Bezahlkarte stolz im Rampenlicht, umjubelt von all jenen, die noch nie etwas von dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gehört haben.
In einem bemerkenswerten Akt der Einigkeit hat die Bundesregierung beschlossen, dass die Bezahlkarte offiziell im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) bundesweit geregelt werden soll. Das AsylbLG, ein Sondergesetz der Leistungsgewährung im Sozialrecht für Asylsuchende und Geflüchtete, wird seit drei Jahrzehnten liebevoll vom Gesetzgeber gepflegt. Mit Hingabe werden die verfassungsrechtlichen Lücken gestopft, doch der bräunliche Grundton bleibt bestehen. Während andere Bedürftige in Deutschland Anspruch auf Bürgergeld oder eine Rentenaufstockung nach dem Sozialgesetzbuch haben, müssen sich Asylsuchende mit Leistungen begnügen, die aktuell mit knapp 20 Prozent unter dem liegen, was allgemein als menschenwürdiges Existenzminimum angesehen wird. Für ukrainische Geflüchtete gilt das AsylbLG nicht.
Die Bezahlkarte, die als Brückenbauerin zwischen Integration und Gesellschaft angepriesen wird, steuert gerade darauf zu, das Gegenteil zu bewirken: Sie wird die Geflüchteten endgültig aus der gesellschaftlichen Teilhabe verbannen.
Erster Akt: Der Rahmen
Der Vorhang hebt sich, die Bühne zeigt ein Büro, im Hintergrund sieht man Umrisse des Reichstagsgebäudes. Im Mittelpunkt steht ein antikes Schreibpult, hinter dem der Gesetzgeber sitzt. Eine Tafel dahinter zeigt das Grundgesetz, eine leuchtende Inschrift hebt Artikel 1 in Verbindung mit Artikel 20 hervor. Der Gesetzgeber beginnt zu sprechen, seine Stimme hallt durch den Raum: „Das Grundgesetz verpflichtet uns, doch es gibt uns auch Freiraum. Es fordert die Sicherung des Existenzminimums, lässt uns aber die Wahl der Mittel – ob in Geld, Sachwerten oder Dienstleistungen.“
Ein Schatten fällt über die Szene: „Doch unser Gestaltungsspielraum ist begrenzt. Wir müssen Bedarfe realistisch erfassen und Leistungen transparent bemessen. Migrationspolitische Überlegungen dürfen nicht dazu führen, dass wir verfassungswidrig handeln.“
Plötzlich ändert sich die Beleuchtung, und vier Schatten treten auf die Bühne, jeder repräsentiert ein Problem der Bezahlkarte. Sie bewegen sich um den Gesetzgeber herum, flüstern: Verlust der Autonomie und Entscheidungsfreiheit, keine Teilhabe, Unterdeckung des existenznotwendigen Bedarfs. Der Gesetzgeber blickt in die Ferne, während die Schatten verblassen. Er murmelt: „Ob unsere Pläne für die Bezahlkarte diesen strengen Anforderungen standhalten?“
Zweiter Akt: Das Dilemma
Eine Straßenszene mit kleinen Geschäften, Flohmärkten. Orte, wo das Leben pulsiert und Schnäppchen zu finden sind. Die Bezahlkarte kann man hier nicht nutzen, zahlen geht nur bar.
Auf der Bühne erscheint eine Szene aus Hamburg; hier dürfen Geflüchtete maximal 50 Euro in bar abheben. Überweisungen sind nicht möglich. Im Hintergrund wird der Vorschlag, den Kauf von Tabak und Alkohol technisch zu unterbinden, durch eine Gruppe dargestellt, die im Supermarkt steht und unfähig ist, sich zu bewegen. Die Ungleichbehandlung wird durch ein geteiltes Licht dargestellt, das diejenigen mit Bezahlkarte von den anderen trennt, die frei herumlaufen.
Ein Schauspieler tritt vor: „Das grundrechtlich geschützte Existenzminimum umfasst mehr als nur die Sicherung der physischen Existenz. Es geht auch um die soziokulturelle Teilhabe, die es Menschen ermöglicht, am politischen, kulturellen und sozialen Leben teilzunehmen.
Dritter Akt: Die Mauer muss weg
Eine Mauer teilt die Bühne – auf der einen Seite die weite Welt, auf der anderen ein durch Mauern begrenzter Raum, der thüringische Landkreis Greiz. Eine Schauspielerin bewegt sich über die Bühne, bis sie abrupt vor der Mauer stehen bleibt. Stimme aus dem Off: „Im Landkreis Greiz sehen wir, wie der Einsatzbereich der Bezahlkarte beschränkt wird, denn sie funktioniert nur dort. Das ist nicht tragbar.“
Vierter Akt: Justitia spricht
Auf der Bühne tritt eine Richterin in roter Robe vor. Sie sagt: „Wir müssen unsere Diskussion über die Bezahlkarte auf eine Basis aus Fakten und verfassungsrechtlichen Grundsätzen stellen. Die verbreitete Annahme, dass Geflüchtete ihre Sozialleistungen ins Ausland transferieren, ist nicht stichhaltig. Tatsächlich führt die Bezahlkarte aber zu einer erheblichen Einschränkung der Geflüchteten, indem sie ihnen die grundlegende Freiheit nimmt, über ihren Alltag und ihre Bedürfnisse selbst zu entscheiden.“ Und während sich die Bühne verdunkelt, fallen Sparkassenkarten vom Himmel, im Hintergrund erscheint der Slogan: Die Lösung für alle!
Die Bezahlkarte für Geflüchtete ist die Antwort auf eine Frage, die niemand gestellt hat. Ein Theaterstück, das die Bühne für ein Publikum beleuchtet, das längst erkannt hat, dass der Kaiser keine Kleider trägt. Hinter der Bühne klopfen sich Regierungsmitglieder von SPD, Grünen und FDP gegenseitig auf die Schulter; die Luft ist vor Selbstbeweihräucherung dick. Sie geben vor, die Fluchtursache schlechthin gefunden und beseitigt zu haben. Dort, wo Dystopie die Realität trifft, murmelt die Ironie leise über die seltsame Art von Erbarmen, die wir den Schwächsten unter uns zu bieten haben.
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