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Asyl bei Flüchtlingen

Illegale Siedlungen sind in Quetta die erste Anlaufstelle für Neuankömmlinge aus Afghanistan

aus Quetta BERNARD IMHASLY

Oft sind die ersten Menschen, die afghanischen Flüchtlingen Asyl gewähren, afghanische Flüchtlinge. „Was konnten wir anderes tun“, fragt Alah Nazo. Er blickt über die Lehmhütten der „Bilal Colony“, die sich am Stadtrand von Quetta aneinanderpressen. Vor zehn Tagen kam ein Mann aus seinem Heimatdorf ins Lager und berichtete, 40 Familien aus der Gegend von Vilayat warteten an der pakistanischen Grenze. Die Männer der „Bilal Colony“ kamen zu einer „Jirga“ zusammen und beschlossen, die Flüchtlinge unterzubringen.

An jeder freien Ecke zogen sie Lehmmauern hoch, Familien opferten ihre winzigen Hinterhöfe, um Platz zu schaffen. Eine Delegation begab sich an die Grenze nach Chaman, um die „Frontier Guards“ zu überzeugen, dass sie für die Flüchtlinge aufkommen.

Vierzig Familien sind nicht viel. Doch wenn jene von Abdul Hakim der Maßstab ist, kommt man mit Kindern, verwitweten Müttern und Tanten ohne weiteres auf 500 Personen. Die viertägige Fahrt mit einem Kleinbus von Afghanistan an die Grenze, Schmiergelder für Taliban-Straßenkontrollen und pakistanische Zöllner haben 15.000 Rupien gekostet – ein Betrag, „für den ich sonst zehn Jahre lang arbeiten müsste“. Er hat ihn durch den Verkauf seiner Schafe aufgebracht. Und damit seine Existenz in Vilayat beendet? Nein. Sein Land hat er nicht verkauft, und er hofft, zurückzukehren.

Doch vielen Familien geht es wie Alah Nazo. Der 42-Jährige lebt seit 1986 im Lager, war vor den sowjetischen Truppen geflüchtet. Doch nach deren Abzug folgte nicht Frieden, sondern Bürgerkrieg zwischen den Mudschaheddin. Dann, als die Taliban in Kabul einmarschierten, brach der Krieg mit Tadschiken und Usbeken aus. Vilayat liegt in der Provinz Takhar im Norden Afghanistans, das in den vergangenen fünf Jahren Frontlinie war. Fünfzehn Jahre haben wenig verändert, in Afghanistan und der „Bilal Colony“. Trotz eines UNO- Flüchtlingsbüros in Quetta und eines pakistanischen Kommissärs für Flüchtlingsfragen blieben Nazo und die 350 Familien aus Vilayat Illegale. Ihre einzige Statusänderung: eine Rationenkarte, die sie dank Schmiergeldern ergatterten und mit der sie Mehl, Salz und Öl billiger kaufen.

„Bilal Colony“ ist eins von rund zwanzig „informellen“ Lagern in Quetta. 250.000 illegale Flüchtlinge leben laut Rupert Colville vom UN-Flüchtlingswerk in der Stadt – bei 800.000 Einwohnern. In ganz Pakistan dürfte eine Million Flüchtlinge außerhalb der offiziellen Lager leben. „Die pakistanische Regierung will nicht, dass wir sie als Flüchtlinge anerkennen, sonst bleiben sie für immer.“

Das tun sie ohnehin. Die staubigen Lehmhütten, mit den verwinkelten Pfaden afghanischen Dörfern ähnlich, finden sich überall dort, wo zwischen den Häuserschluchten noch freier Platz war. Alles, was die Kolonien benötigen, ist eine Stromleitung, von der sich Elektrizität abzapfen lässt, und eine tropfende Wasserleitung, unter die Frauen Kanister stellen. An der Straße, die den Slum zu einer Seite abgrenzt, stehen die Arbeitsgeräte der Flüchtlinge: Flache Gestelle mit vier Rädern, auf die sie am Morgen Gemüse laden und mit dem sie durch die Straßen ziehen.

Wie Hakim und die anderen Neuankömmlinge zurechtkommen werden, wissen sie noch nicht. Doch in die offiziellen UNHCR-Lager wollen sie nicht. „Wir können doch nicht im Lager sitzen und unsere Rationen verzehren“, sagt Alah Nazo. Von den rund siebzig neuen Lagern, die Regierung und UNHCR entlang der afghanischen Grenze aufstellen wollen, hat er nichts gehört. Sie würden ihn auch abschrecken – fernab von Dörfern und Städten, rationiertes Wasser, Ausgehverbot. Konzentrationslager? „Man kann es so sehen“, sagt Colville. „Doch falls es der Weltgemeinschaft gelingt, in Afghanistan rasch neue Verhältnisse zu schaffen und sich dem Wiederaufbau zu widmen, ist die heutige Krise auch eine Chance. Wenn die Afghanen spüren, dass sie ihres Lebens sicher sind und es mit dem Land wieder aufwärts geht, werden sie rasch zurückkehren.“ Alah Nazo stimmt zu: „Wenn es einmal Frieden gibt, packen wir unsere Sachen.“

Für die Flüchtlinge in der „Bilal Colony“ sind die Taliban immer noch besser als eine gesamtafghanische Regierung, die der greise König Sahir Schah in Rom bilden könnte. „Die Taliban sind echte Muslime, sie folgen der Scharia.“ Doch wenn es um Bin Laden und seinen Aufruf zum Dschihad gegen die USA geht, sind sie nicht so sicher. „Wir wollen einen Dschihad, wenn Afghanistan angegriffen wird. Wir Afghanen haben nie von uns aus gegen andere Länder Krieg geführt“, sagt ein Bewohner.

Einige Basarhändler aus Kandahar, die im Haus eines befreundeten Paschtunen untergekommen sind, haben genug von den Taliban. Im Familienraum sitzen die Männer im Kreis, die Frauen abseits. Plötzlich ist aus der Ecke, unter einem Schleier, eine Stimme zu vernehmen: „Wir kommen aus dem Dorf und sind nie in die Schule gegangen. Aber unsere Mädchen sind im Basar aufgewachsen, und warum sollen sie nicht lernen? Wir verstehen das Gebot der Taliban nicht.“

Anderntags findet in Quetta eine große Demonstration für den pakistanischen Taliban-Verbündeten Mullah Fazlur Rahman statt. Männer stehen auf Bussen und schreien: „Tod den USA, Tod für Pakistan!“ Mit Stöcken schlagen sie auf Bush-Strohpuppen. Woher sie kommen? „Aus den Flüchtlingslagern in Quetta“, sagt ein Journalist aus der Region. Vielleicht ist auch Abdul Hakim dabei. Zeit genug hat er.

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