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Arnold Wesker:

■ Ein „Brief an Rushdie“

Mein lieber

Salman,

man hat uns aufgefordert, Dir zu schreiben. Ich wette, die meisten von uns sind sprachlos. Mein Haus gehört Dir, meine Zeit gehört Dir, meine solidarische Empörung, aber was bleibt sonst noch zu sagen über Deinen an Escher erinnernden Alptraum, in dem die Geometrie von Argument und Trost keinen Sinn ergibt. Wir verlieren unsere Richtung, gehen Stufen hinauf, die auf unseren Köpfen stehen, kommen an, wo wir losgingen.

Lieber würde ich Dich treffen und mit Dir über die Themen reden, über die wir bei unserer letzten Begegnung sprachen. Erinnerst Du Dich? Du behauptetest, in der Welt der Wissenschaft sei eine Phantasie am Werk, der in der Welt der Literatur kaum etwas gleichkomme. Ich glaube nicht, daß ich dem zustimme. Ich teile Dein Erstaunen über die Wissenschaft, aber auf gewisse Weise ist an unserer Erregung etwas zu leicht, weil das Wesen der Wissenschaft jeder neuen Entdeckung einen verblüffenden Reiz verleiht. Wie war es, zum ersten Mal das Rad zu benutzen oder mit dem ersten Fernrohr in die Sterne zu sehen? Jane Austen, die Brontäs, George Elliot standen nicht wirklich im Schatten der Elektrizität oder des Verbrennungsmotors. So verblüffend Hawkings Suche nach der einen, alles erklärenden Gleichung sein mag, sie wird mich nicht dazu bringen, mich enttäuscht von Philip Roths Counterlife oder Deinen Satanischen Versen abzuwenden. Dennoch war ich dankbar, als Du mir in jenem Gespräch von Gleicks Buch über die neue Wissenchaft vom „Chaos“ erzähltest. Sein Inhalt spielt eine Rolle in einem meiner letzten Stücke.

Über so etwas, scheint mir, muß ich Dir schreiben: über alltägliche Dinge, als sei in Deiner Welt alles im Lot. Meine Antwort auf Deine Feinde, deren Wahnsinn Deine Vernunft für kriminell erklärt, besteht darin, auf Deiner Normalität zu beharren. Alle anderen Reaktionen sind bekannt! Die Plädoyers für das Recht auf Dissens sind vorgetragen, die Wut ist zum Ausdruck gekommen, die Drohungen sind erfolgt, die unüberbrückbaren Trennlinien erkannt. Was bleibt, ist Dich zu behandeln, als gingest Du normal durch die Welt. Gehen, kommen, uns daheim umarmen lassen — das ist die einzige Antwort, die wir jenen Kriegern eines Gottes, den sie nicht verstehen, erteilen können.

Das ist nicht befriedigend? Zu viel Wichtiges bleibt ungesagt. Und so kehren wir, wie bei Escher, zu unserem Anfang zurück: Was genau bleibt ungesagt? Daß diese Krieger an den irreligiösen Rändern der Religion uns — und ganz besonders Dich Armen-Unschuldigen-der-die- Menschheit-für-vernünftig-hält — bei den Eiern haben? Das ist bekannt. Daß die Fatwa uns zutiefst in einem Winkel unserer Existenz verletzt, der von schlafenden Kindheitsängsten namens Gewißheit, Bigotterie und Irrationalität terrorisiert wird? Das ist bekannt. Daß Du verzweifelt bist und unsere moralische Unterstützung brauchst? Das ist bekannt. Wut und Mitleid sind umsonst.

Das ist unser Problem — es gibt keinen Raum, keinen Zweck für eine weitere Diskussion. Alles ist bekannt. Seit Adam hat die Menschheit ihre Eiferer hervorgebracht, die nicht nur behaupten, sie besäßen die Wahrheit, sondern sich bis zum Mord bedroht fühlen, wenn ihrer Wahrheit widersprochen wird. Man kann sie nicht besänftigen, denn nicht ihr Glaube steht in Frage, sondern ihre Raison d'être. Wer nicht ihrer Meinung ist, der, so glauben sie, wünsche ihnen den Tod. Wer kann mit solchen Menschen diskutieren? Deshalb fühlen wir uns sprachlos. Und hilflos. Und nichtig.

In dem Stück, das ich oben erwähnte, in dem das Chaos eine Rolle spielt, wird der Premier einer Schattenregierung im Fernsehen interviewt. Hier ist seine Antwort auf eine der Fragen des Interviewers:

„Ich bin sicher, die drei wichtigsten Fragen des 21.Jahrhunderts werden die Armut der Welt, die Umwelt und ein Konflikt zwischen Gläubigen und Ungläubigen sein...“

Nehmen wir das Problem des Konflikts zwischen religiösem Fanatismus und religiöser Toleranz. Voltaire glaubte, es sei vor 250 Jahren gelöst worden, als das Zeitalter der Vernunft über Europa dämmerte, aber Vernunft und Toleranz erblühten nicht an einem Tag wie der Frühling. Warum? Wir müssen die geistigen Bakterien erkennen, die Bigotterie verursachen. Oder wollen wir religiöse Staaten einfach mit einer Art beschwichtigender, Ruhig- ruhig-wir-lieben-dich-Diplomatie besänftigen? Ist Erziehung die Antwort auf den Fanatismus? Oder müssen wir dafür sorgen, daß wir uns gegen heilige Kriege militärisch gut verteidigen können?

Hier haben sie eine Formulierung, die meiner Ansicht nach als Poster gedruckt und überall an die Wände geklebt werden sollte:

„Meine Achtung vor Deiner Freiheit, zu leben und zu beten und zu glauben, wie du willst, bedeutet nicht, daß ich respektieren muß, was Du glaubst, wie Du lebst oder den Inhalt Deiner Gebete.“

Halte Dich warm, bleibe ruhig, kreativ und zuversichtlich, im Wissen, daß die meisten der besten und gütigsten Köpfe hinter Dir stehen — obwohl Dir sicherlich lieber wäre, sie stünden vor Dir! Ich weiß, Du hast nicht darum gebeten, in den Brennpunkt eines der ernsthaftesten Konflikte zu geraten, die unsere Zeit zerreißen, aber so ist es nun — Du hast Geschichte gemacht, die ihrerseits Dich macht. Den Islam gibt es immer. Ich hoffe, daß Deine Arbeit den Weisesten des Islam den Mut gegeben hat, gegen seine mächtigen Vereinfacher aufzustehen.

Ich schicke Dir, den ich als einen Helden unserer Zeit betrachte, meine Liebe und meine Achtung —

Arnold

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