: Armutszeugnis unserer Zivilisation
So sieht es also aus, wenn die reichste Nation der Erde von einer „Naturkatastrophe“ getroffen wird, einer Katastrophe, deren Intensität durch das Verhalten der USA selbst nur verstärkt wurde – ob es nun den Klimaschutz oder den Küstenschutz betrifft.
Dies ist ein schreckliches Armutszeugnis unserer Zivilisation. Was wir sehen, ist erschütternd und erbärmlich zugleich: Da wurden abertausende Menschen zurückgelassen, weil sie nicht genug Geld hatten, ihre Flucht selbst zu organisieren. Dann schien man es lange Zeit nicht für nötig gehalten zu haben, sie zu versorgen; als sie aber zu der völlig legitimen Maßnahme griffen, sich der Lebensmittel in den Supermärkten zu bemächtigen, hatte man nichts Besseres zu tun, dies als anarchischen Akt zu interpretieren, eine Nulltoleranz-Politik, und das Kriegsrecht auszurufen.
Gleichzeitig häufen sich in dem Katastrophengebiet tatsächlich schwer wiegende Gewaltakte, was neben der akut verheerenden Lage auf die strukturelle Frustration und die Tatsache zurückzuführen ist, dass die amerikanische Freiheit nicht zuletzt darin besteht, dass Waffen eine genauso alltägliche Ware darstellen wie Pepsi-Cola oder DVD-Player.
Dass man den Eindruck hat, es mit Dritte-Welt-Verhältnissen zu tun zu haben, wird zynischerweise noch dadurch verstärkt, dass nahezu ausschließlich Schwarze davon betroffen sind, die in überdurchschnittlich großer Zahl in New Orleans stecken geblieben sind. Gerade die Afroamerikaner gehören zu den strukturell Benachteiligten in den USA. Man hat wieder einmal den Eindruck, dass ihre Macht vor allem darin besteht, für Bilder des Jammers, des Elends und der Gewalt herhalten zu müssen.
Aber anders als bei 9/11 kann sich das Establishment und die Nation nicht an einem Feindbild abreagieren, zumal man einen „Krieg gegen die Natur“ schon längst führt. MALTE NEUMANN, Köln