: Armutsgebiete in Deutschland abgehängt
„Demografiegipfel“ in Dresden stellt ernüchternde Prognosen vor allem für den Osten Deutschlands
DRESDEN taz ■ Nicht Wachstum, sondern Schrumpfung: Das ist die Perspektive für Ostdeutschland. Was das bedeutet, darüber berieten Experten gestern auf dem Dresdner „Demografiegipfel“, veranstaltet von der Bertelsmann-Stiftung und der sächsischen Staatsregierung.
Nach Zahlen des Sozialwissenschaftlers Paul Gans von der Universität Mannheim wird die Bevölkerung in den neuen Bundesländern bis zum Jahr 2020 um 11 Prozent, in Sachsen sogar um 13 Prozent schrumpfen. Die alten Bundesländer hingegen erwarten durch die Zuwanderung ein leichtes Plus von 0,5 Prozent. Nach Auffassung der Experten wird es künftig ein strukturelles Defizit auf dem deutschen Arbeitsmarkt geben. Ab 2008 wird es an AkademikerInnen und Fachkräften mangeln.
Das strukturelle Defizit auf dem Arbeitsmarkt wird nur teilweise durch eine höhere Erwerbsneigung bei den Frauen und Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern gedeckt. Für die Frauen müsste die im Osten nach wie vor gute Kinderbetreuung Bundesstandard werden. Bessere Kinderbetreuung reiche aber nicht für eine höhere Geburtenrate aus, stellte die Rostocker Soziologin Michaela Kreyenfeld klar. Denn mit durchschnittlich 1,2 Kindern bleiben die Frauen im Osten Deutschlands hinter ihren Geschlechtsgenossinnen im Westen zurück.
Mit einem regional verschärften Gefälle wird man in der ganzen Bundesrepublik leben lernen müssen. Inwieweit das im Grundgesetz verankerte Ziel gleichwertiger Lebensverhältnisse nicht erreichbar ist, bleibt daher eine spannende Frage. In Ostdeutschland ist der Unterschied zwischen den „Wachstumskernen“, auf die Politiker und Experten setzten, und dem flachen Land schon jetzt besonders krass.
Die Folgen fortschreitender Entvölkerung schilderte Bernhard Müller vom Dresdner Institut für ökologische Raumentwicklung. Der öffentliche Personennahverkehr wird sein Angebot schwerlich halten können. Ver- und Entsorgungssysteme können sich mangels Auslastung bei zumutbaren Gebühren nicht mehr selbst tragen.
Auf Politiker kommen höchst unpopuläre Aufgaben zu. Sie müssen die Verwaltungsstrukturen der Schrumpfung anpassen, sich vom Wachstums-Paradigma trennen, wie Müller sagte. Auch die öffentlichen Haushalte werden dramatisch schrumpfen. Einige Empfehlungen gab es am Schluss: Familienoffensive, Bildungsoffensive, Profilierung und Spezialisierung von Hochschulen. MICHAEL BARTSCH