: Armenien: Proteste trotz Militärs
■ Hunderttausende demonstrierten am Wochenende in Armenien und Berg-Karabach unter den Augen der Militärs /Generalstreik wird fortgesetzt / Gorbatschow spricht herbe Worte
Moskau/Baden-Baden (afp/ap/dpa) - „Wir werden uns nicht damit zufrieden geben, sitzen zu bleiben und nur Reden zu verlesen, während Vandalen und „Brandstifter ihr Unwesen treiben.“ Mit diesen Worten reagierte der sowjetische Parteichef Gorbatschow am Wochenende auf die Zuspitzung der Lage in Armenien und Berg-Karabach.
Trotz umfangreicher Präsenz von eingeflogenen Militäreinheiten ist es in beiden Gebieten auch am Wochenende zu weiteren Demonstrationen gekommen, an denen sich nach Agenturmeldungen mehrere hunderttausend Menschen beteiligten. Zwar meldeten die sowjetischen Medien eine Beruhigung der Lage, doch bezeichnete inzwischen auch Radio Moskau die Situation als „sehr angespannt“.
Bereits am Freitag abend demonstrierten unter den Augen der in Eriwan stationierten Militärs nach Angaben eines Mitglieds des Karabach-Komitees Hunderttausende für eine Sondersitzung des Obersten Sowjet von Armenien. Diese Forderung wurde vom Präsidium des armenischen Sowjet inzwischen abgelehnt.
Am Samstag war es daraufhin erneut zu einer Demonstration zehntausender Armenier vor der Eriwaner Oper gekommen, bei der die Teilnehmer beschlossen, den andauernden Generalstreik bis zum 7.Oktober weiterzuführen. Dieser hat inzwischen bereits dazu geführt, daß es in Berg-Karabach in den Läden nur noch Brot und Milchprodukte zu kaufen gibt.
Zugleich wird in den sowjetischen Medien kritisiert, daß die Sicherheitskräfte die Demonstrationen nicht unterbunden haben. Nicht nur die Armee, sondern auch das Karabach -Komitee scheint indessen die Kontrolle über die Bewegung zu verlieren, wie der Komitee-Sprecher Wasgen Manukian zugab. Bei der Samstagsdemonstration seien „Mitglieder des Komitees von der Menge ausgepfiffen worden“.
Der von der sowjetischen Regierung ausgebürgerte armenische Nationalistenführer Airikian hat am Freitag in Washington erklärt, die Mehrheit der armenischen Bevölkerung kämpfe schon nicht mehr nur für die Angliederung des mehrheitlich von Armeniern bewohnten Berg-Karabach an Armenien, sondern für die armenische Unabhängigkeit.
Auf die Frage, inwieweit die Ereignisse in Armenien die Reformpolitik Gorbatschows gefährden können, erklärte Gorbatschow-Berater Valentin Falin am Sonntag, die Unruhen seien zwar ein Störfaktor für Perestroika, aber keine Bedrohung.
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