JULI: DIE LOVE PARADE, TANZEN MIT DEN ANDEREN ZUGEREISTEN
: Leute im engeren Sinne

Schon ist es wieder Juli. Ich wohne jetzt in Berlin, da kann ich mich nicht nur verschließen. „Geh mal unter Leute“, hat Mutti letztens am Telefon gesagt. Also auf zu der Tanzveranstaltung mit den anderen Zugereisten. Da lerne ich vielleicht jemanden kennen. Ich ziehe mir auch mal was Flottes an. Am besten meine Konfirmationssachen. Sind zwar mittlerweile zu kurz und eng, aber kann man schon gelten lassen. Los jetzt! Komm schon! Wird vielleicht lustig.

Hu! Das sind aber ganz schön viele hier. Ganz schön bunte Typen hier. Mutti hat zwar gesagt, ich soll unter Leute gehen. Doch sind das hier überhaupt Leute im engeren Sinne?

Wenn sich die Augen dran gewöhnt haben, dann ist es nicht so schlimm. Sehen eigentlich alle gleich aus wie ich. Springen aber alle auf der Stelle und drehen ihre Faust vor dem Kopf. Das sieht total locker aus! Mach ich dann lieber auch mal.

Ich bin ganz außer Puste. Das ist gut, dadurch sehe ich auch so aus, als ob ich grinse. Ich glaube, ich falle jetzt schon überhaupt nicht mehr auf. Da hinten ist so ein Typ, zu dem alle rennen. Ach so, ist eine Kamera. Ich will eigentlich nicht, dass mich jemand in diesem Zustand sieht.

Da hinten noch ein Typ. Keine Kamera. Ich sage zu ihm: „Ich will nicht, dass mich jemand in diesem Zustand sieht.“ Er sagt: „Dein Zustand lässt sich ändern.“ Ich: „Der ist aber schon seit immer so.“ Er sagt: „Dann kauf doch ne Pille.“ Ich: „Was für ‚ne Pille?“ – „Powdersugar-tourist special.“ Ich: „Hoh! Davon will ich eine. Was kostet die?“ Für 20 Euro gibt er mir zwei, weil heute special ist. Ich frage ihn noch: „Was ist denn, wenn ich das Zeug nun immer brauche?“ – „Wir können uns nächstes Jahr genau hier wieder treffen.“

Die Tablette schmeckt süß. Ich merke gleich, wie sie wirkt. Der Beat haut mir voll in den Kopf, und es ist mir jetzt total egal, ob mich die Kamera sieht. Ich bin total drauf. Springe auf und ab. In der Nähe springt ein Mädchen auch auf und ab. Vielleicht ist sie nur außer Atem, aber vielleicht auch lächelt sie mich an.

JAKOB HEIN