Angst vor dem Flintenweib

Eine Ausstellung im Deutsch-Russischen Museum in Berlin-Karlshorst geht der – ungeschriebenen – Geschichte der russischen Soldatinnen in der Roten Armee während des Zweiten Weltkriegs nach

von MATTHIAS ECHTERHAGEN

Das war neu in der Geschichte des modernen Krieges: 800.000 bis eine Million Frauen hat die russische Armee während der Kriegsjahre 1941–1945 mobilisiert, das Tragen und der Gebrauch von Waffen war ihnen ausdrücklich erlaubt. Es handelte sich um eine Notmaßnahme, denn die Verluste der russischen Streitkräfte nach dem Einfall der Deutschen waren dramatisch hoch. Dennoch gab es auch einen historischen Vorlauf für den beispiellosen Kriegseinsatz der Frauen: Wer wollte, konnte schon in den 30er-Jahren als Mitglied des kommunistischen Jugendverbandes „Komsomol“ solides militärisches Grundwissen erhalten. Wenige waren das nicht: Schießen und fliegen waren als Freizeitsportarten sowohl bei Männern als auch bei Frauen sehr beliebt.

Das alles weiß man längst, und trotzdem ist die Geschichte der russischen Soldatin noch weitgehend unerforscht. Eine Ausstellung mit dem Titel “Mascha + Nina + Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941–1945“ versucht sich ihr nun auch ohne Material aus den eisern unter Verschluss gehaltenen staatlichen Archiven Russlands zu nähern – aus historischer Distanz, mit akribischer Faktensammlung und durch die Erforschung subjektiver Erinnerungstexte. Dabei wird auch die verstellende Macht der Bilder thematisiert, die sich von Anfang bis Ende des Krieges und noch nach dem Zerfall der Sowjetunion über die russische Soldatin im Umlauf befanden.

Die Realität mehr als der Hälfte der eingesetzten Frauen bestand aus dem Dienst im Sanitätswesen. Die Übrigen dienten im Versorgungs-, Verwaltungs- und Fernmeldewesen, etwa 200.000 Frauen waren mit der Luftabwehr betraut, und in der Luftwaffe gab es die drei einzigen reinen Frauenregimenter, an die sich später der ganze Ruhm der sowjetischen Historiografie heften sollte. Des Weiteren wirkten Frauen in Kampftruppen als Mörserinnen und Aufklärerinnen, und es gab mehrere tausend Scharfschützinnen, die eigens in Schulen ausgebildet worden waren. Aus ihnen formte die Nazipropaganda dann jenes angstbesetzte Bild des „Flintenweibes“, das Klaus Theweleit in „Männerphantasien“ bereits für die faschistische Literatur der Weimarer Republik ausgemacht hat.

In Russland erhielten die Erinnerungen der Soldatinnen erst seit der von Chruschtschow 1956 eingeleiteten Tauwetterperiode ein Forum. Doch es dauerte, bis die weißrussische Schriftstellerin Swetlana Alexijewitsch ein Buch wie „Der Krieg hat kein weibliches Gesicht“ schreiben konnte. Es erschien 1984 in Minsk und ist eine ungeschminkte Sammlung von Interviews mit Veteraninnen. Es sei ihr um eine „Geschichte der Gefühle“ statt der Ereignisse gegangen, so die Autorin rückblickend in dem Katalog zur Ausstellung; man könnte es auch Oral History gegen die steinerne Erinnerungslandschaft des Großen Vaterländischen Krieges nennen.

Geheim gehaltene Ängste, Begierden, Fälle von sexuellem Missbrauch werden in Alexijewitsch’ Buch ebenso gestreift wie Geschichten von Leidenschaft und Liebe angesichts des Todes. „Vor allem hatte ich Angst, dass ich getötet werde“, erinnert sich eine Soldatin, „und hässlich daliegen würde. Im Schlamm. Ich habe das oft gesehen, deshalb hoffte ich, im Frühling zu sterben. Zwischen Schneeglöckchen zu liegen.“ Dazu erwähnen Ausstellungstexte, dass Zuckerrationen mit Wasser verdünnt auch ein gutes Stylinggel abgaben und dass Frauen bei einem Fliegerangriff starben, weil sie in einem See badeten und vor den Männern nicht heraussteigen wollten, um zu flüchten.

Ein Kapitel der Ausstellung lautet „Weiblichkeit“ und thematisiert körperliche Folgen des Kriegsstresses wie den Ausfall der Menstruation. Gynäkologen gab es erst ab 1943 in der Armee, wie auch die eigens entworfenen Uniformen für Soldatinnen. Nach dem Krieg blieben viele Frauen unfruchtbar. „Weiblichkeit“ sah nun wieder ganz anders aus. Es waren auf den Bildern anfangs ja noch Frauen eher männlichen Verschnitts, die als Sanitäterinnen mit entschlossenem Blick, breitschultrig, das Gewehr in der Hand, die Sanitätstasche umgegürtelt, losstürmten, an der Seite des Soldaten, jedoch etwas hinter ihm versetzt, nie als individuelle Soldatin. Nun zeigten die Bilder, die im Umlauf waren, die von einem weichen Lichtschein umgebene Mutter mit einem Lächeln im Gesicht und einem Kind auf dem Arm. Du sollst gebären. Für viele war das unmöglich. „Ich wollte schwach sein“, wird eine Frau in der Ausstellung zitiert, „die Füße aber waren in den Stiefeln in die Breite gegangen. Ich war nicht mehr gewöhnt, dass mich jemand umarmte.“ Nach dem Krieg blieb den meisten Soldatinnen gesellschaftliche Anerkennung verwehrt, man hielt sie für Huren. Wegen ihrer Erfahrungen wurden sie von Männern gemieden.

Ein abschließendes Fotodokument scheint die gesamte Last und Kompliziertheit eines Vorgangs auszudrücken, der für die am Krieg Beteiligten in dem Wort „Erinnerung“ allein wohl nicht ganz aufgehen mag. Es zeigt eine Veteranin, die an einem „Tag des Sieges“ an einem 9. Mai Anfang der 90er-Jahre ein Foto von sich als junge Soldatin trägt. Sie trägt es in einem Nexus der Aufforderung und Unsicherheit. Die Orden hängen wie Beweisstücke an der Brust der jungen Frau von damals.

„Mascha + Nina + Katjuscha. Frauen in der Roten Armee 1941–1945“. Bis zum 23. 2. 2003 im Deutsch-Russischen Museum Karlshorst, Öffnungszeiten: Di.–So. 10–18 Uhr, Eintritt frei. Zur Ausstellung ist im Christoph Links Verlag ein Begleitband erschienen, 206 S., Paperback im Museum 15 € plus Versandkosten; Hardcover im Buchhandel 19,90 €.